Ehen in Philippsburg
zusammen noch nicht so alt wie mancher der ehrenwerten Stammgäste allein, das seien für die Mädchen schon arge Versuchungen. Die Stammgäste säßen dann allein, riefen nach ihr, der Chefin, um Rechenschaft zu fordern. Man sei ins Nachtlokal Sebastian gekommen, um sich mit Gerdi, Dagi, Uschi, Marga, Olga oder Sophie zu unterhalten und nicht um allein dazusitzen und sich die Ohren von ein paar Radaubrüdern vollschreien zu lassen. Ihr, der Chefin, mache man Vorwürfe, verlange Erklärungen, warum sie solchen Radaubrüdern Schlüssel aushändige. »Bitte, was sagen Sie dazu«, rief Cordula mit Tränen in den Augen, »ich hätte diesem ordinären Gesindel Schlüssel gegeben, das muß ich mir sagen lassen, ich, die das Nachtlokal Sebastian erfunden hat, jawohl erfunden, denn es ist ohne Vorbild, hier und andernorts!
Ich habe den Philippsburgern gezeigt, was Lebensart ist, ich werde mich gerade mit dem Pack gemein machen! Na, Knut, ich bitte Sie, so was soll ich mir vorwerfen lassen! Einer, ich will keinen Namen nennen, aber wenn Sie ein bißchen nachdenken, dann wissen Sie, wer es war, der ließ sogar durchblicken, daß ich den Totogewinner geradezu eingeladen hätte, um einen Teil des Gewinnes abzurahmen, also das ist, nein, da kann ich einfach nicht mehr, so was einer alleinstehenden Frau, wissen Sie…«
Cordula schluchzte in sich hinein. Hans hätte Relow am liebsten aufgefordert, endlich etwas Tröstliches zu sagen, eine Rehabilitierung im Namen aller wohlmeinenden Gäste. Aber Relow lächelte bloß. Ihm schien Cordulas Ausbruch nicht so nahezugehen wie Hans, der in diesem Augenblick bedauerte, kein mächtiger, einflußreicher Mann zu sein, ein Mann, dessen Bürgschaft und Zuspruch Frau Cordula wirklich hätten trösten können. Marga brachte die Lemon Flips. Sie zog ihr Lächeln aus dem Gesicht, als sie ihre Chefin sah und preßte die Lippen aufeinander wie die Angehörige einer Familie, die von einer Katastrophe betroffen wurde. Wahrscheinlich gehörte sie zu den Mädchen des Nachtlokals Sebastian, die es für unter ihrer Würde ansahen, von dem verschwenderischen Totogewinner zu profitieren. »Denken Sie nur«, sagte sie, »als die Kerle vorgestern da waren, setzten sie dem heiligen Sebastian einen Strohhut auf! Und eine Krawatte haben sie ihm umgebunden und umarmt haben sie ihn und Servus Bastl gerufen! Es ist eine Schande!«
»Frühes siebzehntes«, schluchzte Cordula ergänzend dazu, um der naiv-religiösen Empörung Margas noch eine kunsthistorische Basis zu geben und damit anzudeuten, daß man ja nicht von jedem religiöse Empfindung, wohl aber Achtung vor Kulturwerten verlangen könne. Damit hatte sie endlich auch Herrn Relows Entrüstung wachgerufen. »Barbaren«, murmelte der durch seine breiten weißen Zähne und stürzte dann, als müsse er sich betäuben, den Lemon Flip in einem Ansatz hinunter. Dieckow spielte traurig mit seinen kurzen Fingern. »Und während wir hier sitzen und reden, können sie schon wieder unterwegs sein, können jeden Augenblick die Treppe heraufstürmen, den Vorhang auseinanderreißen und das Lokal besetzen.« Cordula und Marga wirkten jetzt wie zwei Vestalinnen, die zitternd im Tempel kauern und dem nächsten Einbruch fremdrassiger Barbaren entgegenbangen. »Von der städtischen Straßenreinigung«, sagte Knut Relow, und schüttelte sich, als sei ihm ein übelriechendes vielfüßiges Insekt vom Hinterkopf abwärts in den Kragen gekrochen. »Aber von wem können die bloß den Schlüssel bekommen haben«, fragte Hans Beumann, um endlich auch einmal etwas zu sagen.
»Der Bursche, seine Kumpane rufen ihn übrigens Hermann, muß ihn für viel Geld gekauft haben«, sagte Cordula.
»Aber von wem«, fragte Knut Relow. Fragte in einem Ton, der verriet, daß er selbst denjenigen zur Rechenschaft ziehen werde, der es gewagt hatte, den Orden der Stammgäste des Nachtlokals Sebastian für schnödes Geld an einen Straßenkehrer zu verraten.
»Wenn ich das wüßte«, sagte Cordula und sah zu ihrem heiligen Sebastian hinüber, als müsse es ihr der sagen. Vor der Sebastianfigur brannte jetzt in rotem Glas eine Kerze. Marga verabschiedete sich. Die »Show« beginne gleich. Und eben in dem Augenblick, da unten auf dem Milchglas vier Mädchen mit Hawaiikränzen um die bloße Brust auftauchten und einen schwermütigen Tanz begannen, riß oben der schwarze Türvorhang auseinander und Hermann stampfte mit seiner Horde herein. Zuerst besetzten sie die Bar, verlangten mehr mit
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