Ehen in Philippsburg
der Sommer eigentlich schon altern und die Sonne ihr Ungestüm bändigen sollen, dem Kalender nach und nach den Erwartungen, die man nach so langer menschlicher Erfahrung doch auch in die Regelmäßigkeit der Jahreszeiten setzen möchte; es war schon Mitte September, die Zeit, da man sonst anfängt, der Sonne nachzulaufen und sich an südliche und westliche Hauswände lehnt, um das Gestirn zu kurzer Begegnung zu zwingen, aber in diesem Jahr hatten dazu nicht einmal die Greise in der Traubergstraße Lust.
Frau Volkmanns Party – um das Fest endlich gebührend zu benennen – war denn auch geplant als ein Anti-Sommerfest, eine Art Hitze-Kehraus, eine Verbrennung des Sommers, eine Liquidation, durch die Frau Volkmann sich und ihren Freunden beweisen wollte, daß höhere Lebensart auch in dieser Hinsicht unabhängig geworden sei von der baren Natur.
Für Hans sollte die Party den Eintritt in die Philippsburger Gesellschaft bedeuten. Das hatte Anne gesagt, und sie wollte es auch übernehmen, ihn den Leuten, auf die es ankam, vorzustellen. Auch Harry Büsgen wurde erwartet. Der sei jetzt ihr Gegner, hatte Anne ihm erklärt, weil er dem Zeitungskonzern angehöre und deshalb Gegner eines zukünftigen Werbefernsehens sei. Warum, hatte Hans gefragt. Weil durch das Werbefernsehen die Industriewerbung in den Zeitungen des Molle-Konzerns, zu dem auch die »Weltschau«, das »Philippsburger Tagblatt«, das »Abendblatt« und einige zehn andere Zeitungen gehörten, zurückgehen würde; das seien für den Konzern Millionenverluste, deshalb wehrten sich Büsgen und sein Kreis gegen die Einführung des Werbefernsehens. Die Geräteindustrie jedoch sei daran interessiert, weil das Werbefernsehen ein zweites Programm bringen würde, ein leichteres, gefälligeres als das der Fernsehanstalten, und das könne natürlich den Apparateverkauf erheblich »anheizen«. Ah, hatte Hans gesagt und bei sich festgestellt, daß er jetzt also der Gegner des Mannes geworden war, dessen Mitarbeiter er hatte werden wollen. Anne hatte er bewundert, weil sie all diese Zusammenhänge so gut kannte und weil sie gesagt hatte, der Apparateverkauf würde »angeheizt« werden. Warum man dann Büsgen überhaupt eingeladen habe, wenn er doch ein Gegner sei? Anne lächelte. Auf dem Radioapparatemarkt sei er ein Verbündeter, weil er in seinen Programmzeitschriften für die Verbreitung der UKW-Geräte und für die Erweiterung der UKW-Programme eintrete; dafür werde er allerdings auch mit ersprießlichen Werbeaufträgen der Geräteindustrie für die Zeitungen des Molle-Konzerns belohnt. Hans versuchte auf dem Weg ins Villenviertel, diese Zusammenhänge noch einmal zu rekapitulieren, aber ganz verständlich wurden sie ihm nicht; er war froh, daß er in Anne eine Mitarbeiterin hatte, die diesem Katz-und-Maus-Spiel der Mächtegruppen ein fanatisches Interesse entgegenbrachte. Er schrieb lieber die Kurzartikel, in denen er die Radio- und Fernsehprogramme kritisierte, die nicht dazu angetan waren, die Leute zum Kauf von Geräten zu reizen; sogar die Artikel über besondere technische Leistungen der Industrie und die Porträts der Konstrukteure und Wirtschaftsführer (Männer, die alle aus Wagemut, Erfindungsgabe, seelischer Harmonie und menschlichem Verantwortungsbewußtsein bestanden) schrieb er mit größerer Freude als die Kommentare zu diesem wirtschaftspolitischen Techtelmechtel. Zum Glück legte Herr Volkmann den größten Wert darauf, gerade diese Kommentare selbst schreiben zu dürfen. Er sei so glücklich, diesen Pressedienst zu haben, sagte Anne. Früher habe er alles hinunterschlucken müssen, jetzt aber könne er endlich einmal vom Leder ziehen und sein volkswirtschaftliches Glaubensbekenntnis in aller Öffentlichkeit ablegen. Anne vermutete, daß Herrn Volkmanns Wunsch, ein Sprachrohr für die eigene Meinung zu haben, die eigentliche Ursache für die Gründung der »programm-press« (so hieß Hans’ und Annes Funk- und Fernsehpressedienst) gewesen sein dürfte. Hans dachte: auf jeden Fall hat er mich nur deshalb eingestellt, weil er von einem Anfänger am wenigsten Widerstand zu befürchten hat.
Hans war der erste Gast. Noch huschten die Serviermädchen durch die Zimmer, die für die einzelnen Stadien des Festes vorbereitet wurden, und trugen Schälchen, Gläser, Blumen und Aschenbecher hin und her, wobei sie sich halblaut Befehle zuriefen; jede schien die Verantwortung für das Gelingen der Party ganz allein tragen zu wollen, was die
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