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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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durch ein rasch auf glucksendes Frauenlachen unterbrochen wurde? War das die Party? Und Frau Volkmann? Sie war noch gar nicht da. Aber Herr Volkmann, o je, der steuerte gerade auf ihn zu, einen großen hageren Herrn mit sich schleifend, wer war dieser flattrige Hüne bloß? Ja, kein Zweifel, sie hatten es auf ihn abgesehen, rasch die Hände an der Hose abgewischt, ganz unauffällig, und das Lächeln ins Gesicht, er hatte ja zu Hause vor dem Spiegel ein Gesicht ausprobiert, das ihm passend schien für eine vornehm-gesellige Veranstaltung, er hatte es so lange geübt, bis er es ohne Spiegel, nur nach den Spannungsempfindungen in den einzelnen Gesichtspartien, zustande gebracht hatte; dieses Lächelgesicht stellte er jetzt her und sah den Herren entgegen. Ach, und eine Frau hatten sie auch noch dabei. Wieder eine Vorstellung, aber diesmal ging es schon besser. Dr. ten Bergen und seine Frau. Rundfunk- und Fernsehintendant. »Sehr angenehm. Sie sind also der neue Kritiker«, sagte Herr ten Bergen und sah Hans mit großen, fast ganz weißen Augen an. Das wenige Blaßblau seiner Pupillen verschob sich beim Sprechen so häufig unter die oberen Lider, daß man es auch dann kaum mehr bemerkte, wenn es einmal in Normallage war. Die kleine Frau an seiner Seite lächelte und sagte, mit einem Kritiker müsse man trinken. Herr Volkmann und Herr ten Bergen lachten, Hans versuchte es auch. »Ich darf Sie also Ihrem Gegner überlassen«, sagte Herr Volkmann und trippelte rasch weg. Nun begann ein Gespräch, das Herr ten Bergen ganz allein bestritt. Seine Rede war ein pausenloser nasaler Gesang, den er mit schräggestelltem Kopf ohne jede Mühe von sich gab. Ein einziges Legato von Anfang bis Ende. Luft holte er nicht nach einem Wort oder gar nach einem Satz, sondern während er ein Wort aussprach, teilte er es, stieß den letzten Rest der noch vorhandenen Luft mit dem Wortanfang heraus und sog mit dem nächsten Vokal wieder neue Luft ein. Eine wahrhaft artistische Leistung. Am Wendepunkt vom Aus- zum Einatmen war allerdings ein kleines Röcheln nicht zu vermeiden. Sonst aber rauschte einem dieser Gesang wohlig ins Ohr, vermochte jedoch nie bis ins Innere des Kopfes zu dringen. Es waren Wellen, die hoch aufschlugen, eine glitzernd aufschäumende Brandung; sie erreichte aber den Strand nicht, von dem aus man ihr entgegensah, die Wogen schlugen vorher über sich selbst zusammen und gebaren aus sich neue Wogen, die den gleichen Lauf nahmen. Hans beschloß, regelmäßig zu nicken. Plötzlich erhob sich ein Gewisper in der Halle, ein »Psst« von allen Seiten, die Köpfe suchten nach der Ursache und entdeckten sie auch gleich, Frau Volkmann kam die Treppe herunter, nein, sie schritt die Treppe herunter, eine Hand lose auf dem breiten Holzgeländer mitschleifend; bei jedem Schritt abwärts knickte sie in den Knien ein bißchen ein, so daß ihr Gang etwas Onduliertes, Schwebendes bekam, ein großer Vogel in weinroter Seide, der von den Gästen mit vielen Ahs und Ohs gewürdigt wurde. Herr ten Bergen verstummte natürlich sofort und war einer der ersten am Fuß der Treppe, der sich über den Handrücken der gnädigen Frau beugen durfte. Frau ten Bergen folgte ihm langsamer und erlaubte Hans mit einer Handbewegung, sie zu begleiten. Jetzt also würde die Party beginnen. Frau Volkmann führte die Gäste in die erste Etage und bat, man möge doch Platz nehmen, in den drei großen Räumen oder auf der Terrasse, »zwanglos«, sagte sie, wie es jedem beliebe. Herr ten Bergen flüsterte Hans auf dem Weg nach oben zu, Hans möge ihn doch einmal besuchen, sich die Studios anschauen und seine Mitarbeiter kennenlernen. Möglichst noch in dieser Woche. Auf jeden Fall müsse er zum nächsten Presse-Tee kommen. Hans bedankte sich. Droben sah er den Intendanten auf einen anderen Herrn zusteuern, sah ihn eine Rede halten, sie beenden, sah ihn auf den nächsten zusteuern, eine Rede halten, sie beenden; die ganze Party über schien der Herr Intendant ein anstrengendes Programm erledigen zu müssen; hin und wieder zückte er einen winzigen Terminkalender, ohne dabei jedoch seine Rede zu unterbrechen. Als Anne sich wieder um Hans kümmerte, bat er sie um die Namen der Leute, mit denen sich der Intendant jeweils beschäftigte. Das war Professor Mirkenreuth von der Technischen Hochschule, nebenbei Rundfunkrat, der nächste Helmut Maria Dieckow, ein Schriftsteller, nebenbei Rundfunkrat, dann Dr. Albert Alwin, Rechtsanwalt, nebenbei Rundfunkrat, dann Direktor Franze,

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