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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Mädchengesichter zu Masken unmäßigen Ernstes verzerrte. Wenn sie an Hans vorbeirannten, bemühten sie sich, geheimnisvoll zu lächeln, so als steckten sie mit ihm zwar unter einer Decke, wüßten aber trotzdem den gebotenen Abstand zu wahren. Er wagte es nicht, nach den Angehörigen der herrschaftlichen Familie zu fragen. Wahrscheinlich tänzelten die in verschiedenen, jetzt ganz fest verschlossenen Zimmern hin und her, bückten sich in Schubladen und Schränke und reckten und drehten sich vor vierteiligen Spiegeln, um ihrer Rüstung die letzte Vollendung angedeihen zu lassen. Hans stotterte in der Eingangshalle herum, bestaunte die Bar, die hier zum Willkommenstrunk aufgebaut war, dann stapfte er, einer Gewohnheit folgend, die breite Treppe zum ersten Stockwerk hinauf, strich oben die Balustrade entlang, die wie eine Theatergalerie die Halle umlief, bewunderte das Arrangement von oben, wagte sich hinaus auf den Balkon und wieder zurück und verspürte allmählich Beklemmungen, weil er ahnte, daß die Serviermädchen ihn heimlich belächelten, wenn er sich jetzt noch länger wie ein Oberkellner zwischen den Tischen und Sesseln herumtrieb, als habe er alle Vorbereitungen noch einmal zu überprüfen. Aber was sollte er tun? War es nicht unschicklich und höchst lächerlich, wenn er, der einzige wahrscheinlich, der zu Fuß kam, schon so früh herumstand, mit einem hungrigen Gesicht gar, als könne er den Beginn der Party nicht mehr erwarten? Schließlich klopfte er, kopflos geworden, an Annes Tür, hörte wie sie aufschloß, sah ihre nackte Schulter und das halbe Gesicht durch die handbreit sich öffnende Tür, erschrak, wollte sich entschuldigen, wurde aber von Annes unbekleidetem Arm hineingezogen in das Zimmer, dessen grelle Blumentapete ihn noch nie so verwirrt hatte wie in diesem Augenblick, da er seine Blicke auf die tiefroten Rosenmuster nagelte, um nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle Anne anschauen, die noch im Unterrock war. Sie sagte, er könne ihren Toilettentisch benutzen, wenn er noch etwas an sich zu tun habe, sie sei so gut wie fertig, lediglich das Kleid… Hans hörte sie kaum, so toste das Blut in seinen Ohren und im Hals, sprechen konnte er schon gar nicht, Wünsche wurden in ihm wach, er hielt sich am Bettgestell, an der langen Bambusleiste, die das niedere breite Bett abschloß. Wie hatte sie ihn bloß einlassen können! Dachte sie jetzt, daß er in voller Absicht so früh gekommen sei, um sie beim Ankleiden zu überraschen? Sie lachte ihn aus, weil er an die Wand starrte. Die Erregung des anbrechenden Festes flirrte in ihrer hohen Stimme. Er mußte sich umdrehen, mußte sie ganz ruhig anschauen, wie sie da im Unterrock auf und ab lief, dabei war dieser maisgelbe, steife Unterrock auch noch halbiert, reichte nur bis zur Taille, aber Anne wollte heute offensichtlich auch freigeistig leben, und er hatte jetzt mit ihr zu sprechen, als säßen sie in Wintermänteln in der Straßenbahn; er spürte, daß das Blut, das ihm heiß ins Gesicht schoß, ihn puterrot färbte, auch Anne war jetzt nicht mehr ganz so unbeschwert wie sie scheinen wollte, sie gackste, er stotterte, versuchte eine gelangweilte Geste, ein harmloses Lachen, dann machte er sich endlich am Waschbecken die Hände naß, seifte sie ein und wusch sie mit einer Gründlichkeit, als habe er gleich eine schwierige Operation auszuführen. Als er sich wieder umdrehte, war Anne Gott sei Dank in Schale und eben dabei, einen aus vielen winzigen Teilen bestehenden Schmuck um den Hals zu legen und dem Gehänge den Platz auf ihrer Brust anzuweisen. Dann ging’s hinunter, Hans immer eine Handbreit hinter Annes Schulter, mit Absätzen aus Blei und Händen, die nirgends unterzubringen waren. Hemdkragen und Hals waren nach ein paar Schritten, als er die ersten Gäste in der Halle sah, zu einem nicht mehr auseinanderzuhaltenden Teig verschmolzen, und von seinen Achselhöhlen lief der Schweiß in kleinen kalten Bächen auf die Hüften hinunter, wo er sich zu fröstelnden Flecken sammelte und Gänsehaut ausstrahlte. Anne steuerte auf die Bar in der Halle zu, da hing schon ein größerer Klumpen Gäste, Hans konnte kaum die Männer von den Frauen unterscheiden, sie lachten alle, sie sprachen alle, sie hielten alle kleine Gläser in der Hand, und in allen diesen Gläsern schwammen kleine runde Früchte; aber da begann auch schon die Vorstellung, er hatte gerade noch Zeit, seine Handfläche an der Hose abzuwischen, da mußte er sie schon in den Klumpen

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