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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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diese Lebensläufe absichtlich propagiert, zur Verführung weiterer Jünglinge zum gleichen Verrat, bitte, selbst wenn es so war, er konnte nicht anders handeln, er war allein. Inzwischen war Frau Volkmann wieder aus der grünen Tiefe ihres Gartens aufgetaucht, zähnebreit lachend und immer noch in jener spärlichen Kleidung, die ihr vielerorts nicht mehr recht festes Fleisch ungeschützt preisgab; die Pudel trotteten jetzt mit hängenden Köpfen und, wie es schien, mißmutig hinter ihr her; wahrscheinlich hatte ihre Herrin sie durch allerlei leidenschaftliche Spiele bis an den Rand ihrer zarten Pudelnaturen erschöpft; vielleicht waren sie aber auch dieser Spiele – obwohl sie dazu geboren, zumindest jedoch geschoren schienen – längst überdrüssig und sehnten sich nach einem wirklichen Buben, der einen Stein zu werfen verstand. Frau Volkmann beglückwünschte Hans zu seinem Entschluß (als ob er sich überhaupt hätte entschließen müssen, als ob er hätte auch nein sagen können, in welchen Freiheiten diese Leute bloß leben!) und arrangierte sofort eine kleine Feier; eine »Party«, sagte sie; wahrscheinlich gab es nichts, woraus Frau Volkmann nicht eine Party hätte machen können. Er trank also mit den Damen Fruchtsäfte mit Gin und schließlich Gin ohne Fruchtsäfte und ging dann mit Säulenbeinen und turmhohen Schuhsohlen in die Stadt hinab, schaute entschlossen nach links und nach rechts, schnalzte einige Male laut mit den Fingern, pfiff bekannte Melodien absichtlich falsch, aber gerade nur so falsch, daß die anderen Passanten die Melodien noch erkennen konnten und ärgerlich zu ihm herschauten; worauf er noch schriller weiterpfiff und auch kaum der Versuchung widerstehen konnte, an der nächsten Straßenkreuzung den Schupo von seinem runden Elefantenpodestchen zu stoßen, um sich selbst in die Mitte des Gedränges zu stellen, sei es, um den Verkehr bewunderungswürdig sicher und fließend zu regeln oder ihn ganz zu stoppen und der fragend zu ihm aufstarrenden Menge eine Rede über Kompromiß und Karriere zu halten, eine Rede, wie man sie in Philippsburg noch nicht gehört hatte. Gott sei Dank gelang es ihm, ordentlich zu bleiben und seinen bitterfröhlichen Überschwang bis in die Traubergstraße zu tragen, wo er ihn unter dem Gelächter und Gestöhne der nachbarlichen Familien in seinem grobleinenen Bettzeug vergrub.

    3

    Das beste wäre gewesen, wenn Hans sein gutes Hemd und seine Krawatte in ein kleines Köfferchen gepackt hätte, um sich erst droben in Volkmanns Haus fertig anzukleiden. Dreißig Minuten Straßenbahnfahrt bei dieser Hitze und anschließend noch zehn Minuten zu Fuß, von der Haltestelle bis zur Villa, da war kein Hemd mehr so sauber, daß er es bei einem Sommerfest in der Volkmannschen Villa noch tragen konnte. Aber er hatte nur eine Aktentasche und seinen zerstoßenen Riesenkoffer; den kleinen Gentlemankoffer, den er jetzt gebraucht hätte, hatte er nur in Filmen oder im D-Zug gesehen, wenn er aus Versehen durch ein Abteil erster Klasse gegangen war, wo derartige Koffer (und noch ganz andere) über schönen und bedeutenden Gesichtern in den Netzen lagen und schimmerten. Wenn er eine Taxe nähme? Er hatte ja sein erstes Monatsgehalt in der Tasche, aber was würde seine Mutter sagen, eine Taxe, bloß so, um irgendwohin zu fahren, das war Hochstapelei, und wer weiß, wie lang er zum nächsten Taxenplatz gehen mußte, nein, es blieb wahrscheinlich nichts anderes übrig als das Hemd so vorsichtig wie möglich anzuziehen, den Kragen offen zu lassen und sich im übrigen so langsam zu bewegen, daß der Hals den Kragen nicht berühren konnte, bevor er droben angelangt war. Er vermutete nämlich, daß bei diesem Fest recht wenig Rücksicht darauf genommen werden würde, daß die Gäste ihren Anmarsch zur Villa durch eine Hitze zu machen hatten, die von allen Kundigen als die schrecklichste seit siebenundzwanzig Jahren bezeichnet wurde. Selbst wenn eine kleinere Zeitung geschrieben hatte, daß lediglich seit zweiundzwanzig Jahren so etwas nicht mehr zu erleiden gewesen sei, dann doch nur deshalb, weil eine kleinere Zeitung eben kein so weit zurückreichendes Gedächtnis hatte wie eine große, wie das »Philippsburger Tagblatt« zum Beispiel, wie der »Philippsburger Kurier« oder das »Philippsburger Abendblatt«. Und aus den Mitteilungen dieser Blätter und den Erzählungen der Greise und Greisinnen in der Traubergstraße, die, wenn sie davon sprachen, nach innen schauten, als zählten sie

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