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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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von ihm operieren zu lassen. Als man die Liste der Partygäste einige Personen weiter durchgekämmt hatte, sagte um Anne, es sei schade, daß Cécile nicht zum Essen geblieben sei. Hans bemerkte, wie Dr. Benrath einen Augenblick starr zu Anne hinsah. Weil niemand sprach, hörte man das klanglose Ticken der Bestecke auf den Tellern. Dann fragte Frau Volkmann: »Malen Sie eigentlich noch, Alf?« Dr. Benrath sagte: »Nur noch im Urlaub.«
     »Ja, man verkommt immer mehr«, sagte Frau Volkmann und starrte in den dunklen Park hinaus. Alices Mund platzte lachend auseinander.
     Nach dem Essen legte man sich zurück, starrte zum Himmel hinauf und trank wieder. Plötzlich ächzte Alice hoch: »Wir müssen was tun. Ich wecke den Dichter.«
     »Bitte nicht«, sagte Dr. Benrath, federte hoch und wirkte jetzt vor dem dunklen Himmel riesiger denn je. Frau Volkmann sagte: »Wir müssen mehr trinken. Das Essen hat uns nüchtern gemacht.« Sie prostete auch gleich rundum und ließ nicht ab, bis jeder sein Glas in einem Ansatz in den Mund geschüttet hatte. Aber sosehr sie sich bemühte, das zu erzeugen, was sie »Stimmung« nannte, vorerst wurde nichts daraus. Alice fluchte und sagte, es gebe keine Männer mehr. Frau Volkmann gratulierte ihrer Freundin zu dieser Feststellung. Hans fror und stürzte ein weiteres Glas in seine Mundhöhle, um es von dort in erträglichen Portionen durch den Schlund zu pressen. Dr. Benrath gab einige Erläuterungen zu dem irreversiblen Prozeß der Feminisierung der Smokingmännchen, der Männer der besseren Gesellschaft also.
     Hans wäre glücklich gewesen, wäre er Benraths einziger Zuhörer gewesen. In dieser Gesellschaft aber kam er nicht zum Genuß dieser ihm so wunderbar erscheinenden Sätze. So einen Freund wenn er hätte! Wenn er jeden Tag so zuhören könnte! Um wieviel wichtiger war ihm das, was Benrath sagte, als alle bloß wissenschaftlichen Gelehrsamkeiten, die man auf der Universität über ihn ausgegossen hatte. Alles was Benrath sagte, klang, als habe er es selbst erlebt, als wachse es ihm direkt aus seinen Adern heraus. Das war eine Fakultät! Wenn er an seine Zeitungswissenschaft dachte, hatte er das Gefühl, als habe man ihm drei Jahre lang durch ein farbloses Kunststoffröhrchen ein ebenso farb- und geruch- und geschmackloses Pulver in den Kopf rieseln lassen, zerfallenes Papier oder zermahlene Hüllen von Insektenlarven, ein Material auf jeden Fall, das nicht einmal ein Geräusch machen konnte. Darum konnte er jetzt auch nicht mitreden. Auch das, was er in den philosophischen und literaturwissenschaftlichen Vorlesungen hatte anhören müssen, war so aus Staub und trockenem Nebel gemacht, daß er außer einigen Biographien nichts hatte behalten können. Nun war er sich natürlich seiner besonderen Unfähigkeit durchaus bewußt, der Dichter Helmut Maria Dieckow lieferte ja den Beweis, daß auch aus solchen Fakultäten ein Aufstieg möglich war. Dr. Benrath sprach immer noch von den Männchen. Hans schwitzte, bohrte seine Augen in die Schwärze der Parkbäume, als könne er so seine Gegenwart verbergen. Sosehr er diesen Frauenarzt bewunderte, aber es waren doch Damen da! Welcher Lauterkeit mußten die alle teilhaftig sein, welcher unanfechtbaren Reinheit, daß sie sich m so gleichgültigem Ton über Dinge unterhalten konnten, die ihm das Blut in Wirbeln durch die Adern jagten. Er spürte, wie seine Lenden heiß wurden, wie das, wofür er keinen Namen hatte, anschwoll und hart wurde, um Gottes willen, so hört doch bitte auf! War er denn allein so zurückgeblieben oder so böse und verdorben, daß er die Worte, die da leicht hingesprochen wurden, nicht trennen konnte, von dem, was sie bezeichneten. Er trank wieder ein Glas mit einem Schluck aus, staute es diesmal nicht in der Mundhöhle, sondern leerte es hinunter durch den geöffneten Schlund, fast ohne zu schlucken. Warum hatten denn die Menschen für alles auf der Welt Namen erfunden, Namen sogar für das, was es gar nicht gab, bloß für jenen weichen, zarthäutigen Fleischwulst, der jetzt warm von seinen Schenkeln wegwuchs, hatten sie nichts erfunden, was man mit Anstand gebrauchen konnte. Ein paar Abstrakta, die ebenso widerlich klangen, wie das, was man an allzu handfesten Wortbildungen kannte. Das Herz hat man doch auch benannt, und man hat eine Vorstellung, wenn man es beim Wort nimmt, ohne daß man gleich an das ganze, besonders blutige Fleischstück denkt, das in der Brusthöhle aufgehängt ist. Den Verstand hat man

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