Ehen in Philippsburg
das, was Claude erzählt hatte. Und jetzt forderte Frau Volkmann alle auf, miteinander auf »du« zu trinken, sich zu küssen und noch einmal zu küssen, sie nannte das das »Doppel-Du«, das auch am nächsten Tag und an allen folgenden Tagen noch Bestand haben sollte. Wie weit wollte sie das Spiel noch treiben, diese mänadische Romantikerin? Er forderte jetzt sein Recht, wenn sie’s wissen wollten, bitte, er hätte es ihnen jetzt vielleicht sogar sagen können! Er war keine Schaufensterpuppe, die man in jede beliebige Stellung zur Partnerin Schaufensterpuppe biegen konnte! Er rutschte hinüber zu Anne, ließ sich in ihren Sessel fallen und suchte ihren Mund. Anne kam ihm so sehr entgegen, daß er erschrak. Von ferne hörte er noch Alice quieksen und Frau Volkmann rauh auflachen, einen Augenblick dachte er auch noch daran, daß Dr. Benrath jetzt vielleicht von diesen beiden zerfleischt wurde, während seine zartgliedrige Frau daneben saß und ihre dunklen Augen in einer von keinem Menschen bemerkten Trauer auf die Geräusche richtete, bitte sollten sie sehen, wie sie das überlebten, sie hatten es sich selbst zuzuschreiben, ihn ging das nichts mehr an, das Dunkel und der Sekt hatten eine Mauer zwischen ihm und den anderen errichtet, die nicht mehr zu übersteigen war! Vielleicht waren sie auch wieder ins Haus gegangen, er hörte nichts mehr. Seine Hände suchten Anne ab, taten so, als irrten sie fiebrig und ziellos an ihr herum und registrierten doch jedes Nachgeben, jede Regung des Einverständnisses auf das genaueste, bis sie schließlich waren, wo sie von Anfang an hingewollt hatten. Hans sammelte alle Schärfe seines Bewußtseins, deren er noch fähig war, auf einen Punkt, um zu beurteilen, was sich da vollzog.
Aber während er zu denken versuchte, während er sich einredete, daß er jetzt ganz klar und mit vollem Bewußtsein noch einmal prüfe, ob er tun dürfe, was zu tun er im Begriffe war, da war die Entscheidung schon gefallen, ohne ihn, über ihn hinweg, eine Hinrichtung vollzog sich, bei der er Henker und Delinquent in einer Person war.
4
Als die Hitze auch noch das letzte Blau des Himmels mit ihrem fahlen Weiß befallen und zersetzt hatte, als sie die letzten Wolkenschleier zerrissen und aufgezehrt hatte und sich gerade anschickte, ihren bösen Baldachin für alle Zeit über Philippsburg aufzuschlagen, da schob sich von Westen gelbgraues Gewölk herauf; es war, als nahte sich ein ungeheurer Widder, von dem man bis jetzt nur die Kopfwolle sah, die höher und höher aufwuchs, der Kopf selbst blieb unsichtbar, aber die Wolle löste sich, flog hoch und stampfte in riesigen Knäueln über Philippsburg hin, ganze Knäuelgeschwader waren es, die jetzt mit Blitz und Donner über der zusammengeduckten Stadt explodierten und mit Hagel erst und dann mit Regen auf die ausgeglühte Stein wüste hinabschlugen; allzu schwerbeladenen Schiffen gleich, waren die Formationen angekommen, jetzt aber, nachdem sie ihre Lasten herabgeschleudert hatten, wurden sie leicht, lösten sich auf in tintige Schleier, stürmten hoch und eilten, den Versehrten Himmel mit ihren tiefen Farben zu tränken: und von ihrem Überfluß regneten sie tagelang auf die Stadt hinab.
Hans saß an seinem Schreibtisch. Ihm gegenüber Anne. Schreibmaschinengestotter aus dem Vorzimmer. Und von draußen die Zimbelmusik des Regens, der jetzt ohne Gewalt niederging. Hans tat, als baue er aus seinen Notizen eine Reportage. Am Vormittag hatten silbrige Herren in dunklen Anzügen an einem Rednerpult, aus dem die Mikrophone wie eine Saat bleigrauer Tulpen ragten, die »Große Landesausstellung der Rundfunk- und Fernsehgeräteindustrie« eröffnet. Aber Hans kritzelte nur Worte aufs Papier. Sinnlose Einzelworte. Er spürte, daß Anne ihn ansah, daß sie herüberlächelte über die zwei Schreibtische und wartete, bis auch er sie ansehen würde, hinüberlächeln würde zu ihr. Cécile, dachte er, Marga… Anne war so vergnügt heute. Bei jedem zweiten Satz quiekste sie, kniff ihre Augen zusammen, war mindestens schon fünfmal um beide Schreibtische herumgerannt, um ihm mit Mund und Zunge im Gesicht herumzuradieren. »Was tun wir heute abend?« hatte sie gefragt. Er müsse die Reportage fertigschreiben. Morgen sei Redaktionsschluß für die nächste Nummer. Anne sagte, der Pressedienst schlage ein! Papa sei sehr zufrieden.
Alles, was Anne heute sagte, klang wie eine Aufforderung. Hans suchte einen freundlichen Satz zusammen, probierte ihn einmal in
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