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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Gedanken und sagte ihn. Anne war glücklich.
     Er hätte sie gerne geliebt. Aber sie war keine Frau wie Cécile oder Marga. Sie war ein altes Mädchen.
     Anne holte was zum Essen, holte Wein und blieb, bis er die Reportage beendet hatte; sie setzte sich auf seine Schenkel, sie suchte wieder in seinem Gesicht herum, bis er so erregt war, daß er sie nett fand und wiederholte, was er im Park getan hatte. Von mir aus, dachte er, sie liebt mich wenigstens, sie lacht nicht so unverständlich, sie weiß, wer ich bin, ich muß nicht andauernd auf den Zehenspitzen herumtanzen, um mich ein bißchen größer zu machen, als ich bin, und schließlich ist eine Frau eine Frau, basta!
     Von seinem zweiten Monatsgehalt kaufte sich Hans ein türkisgrünes Hemd, weinrot besetzte Manschettenknöpfe und eine honigbraune Krawatte, eine italienische Krawatte war es, auf einem winzigen Stoffstreifen stand seta pura, Hans sprach es auf dem Heimweg vor sich hin, vertonte es und sang es in vielen Variationen, bis er Frau Färber sah. Sie sollte ihn nicht singen hören. In seinem Zimmer stellte er fest, daß das, was er unter seiner Oberkleidung trug, den Namen Wäsche nicht mehr verdiente. Sofort rannte er noch einmal in die Stadt und kaufte sich weiße Unterwäsche, rannte zurück in sein Zimmer und probierte alles gleich an. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er allein und mit eigenem Geld und so viel auf einmal gekauft hatte. Das Geld, das er sich während der Semesterferien als Volontär bei Provinzzeitungen verdient hatte, hatte er zum Studium gebraucht, seine Kleider hatte immer noch seine Mutter bezahlen müssen. Sie war nirgends lieber hingegangen mit ihm als in die Kreisstadt (oder noch lieber in die dreißig Kilometer entfernte, benachbarte Kreisstadt, wo sie ganz unbekannt waren), um den ganzen Tag durch die Geschäfte zu schlendern und für ihn einen Mantel, einen Anzug oder auch nur ein Paar Handschuhe oder ein Kleid für sich selbst zu kaufen. Auch Hans war eitel und wußte, was er wollte, was zu ihm paßte, aber seine Mutter fand rein gar kein Ende beim Auswählen, Wählen, Wiederverwerfen, Weitersuchen, Auswählen und Wählen… Alles probierte sie ihm gleich an, trat zwei Schritte zurück, neigte den Kopf nach rechts, nach links, wieder nach rechts, winkte mit der Hand ab, nein, das ist nichts, zu hell für dich, da verschwimmst du, bist zuwenig eingefaßt… Und wenn sie dann etwas gefunden hatten, zogen sie per Arm ms Café, aßen vielschichtige Torten, flüsterten sich ironische Bemerkungen über die anderen Gäste zu, lachten laut auf und stießen sich an, daß man hätte glauben können, sie seien ein junges Paar, das gerade Verlobung gefeiert hatte.
     Hans bedauerte, daß der Spiegel in seinem Zimmer so klein war. Noch nie hatte er so eng anliegende, so schmiegsame Unterwäsche gehabt, er sah sich im Zirkus, in der Arena, am Fuß der Leiter, die hinauf zum Trapez führte, mit einer Hand griff er schon zu, dann huschte er katzenschnell die Sprossen hinauf, oben ein kleines Muskelspiel, das Trikot saß hautdicht, war überhaupt nicht zu spüren, er konnte abfedern, sich hinauswerfen, der schwingenden Stange entgegen…
     Und erst das Hemd, es floß an ihm hinunter wie Engelshaar! Die Krawatte machte ihn ernst. Die Manschettenknöpfe beflügelten seine Hände. Er dirigierte ein unübersehbares Orchester, aber er sah die Partitur nicht, er sah keine Musiker mehr, er sah nur noch seine Hände, die schmal und lang aus den Ärmeln stachen, und die tiefroten goldgefaßten Manschettenknöpfe, die im Licht der Pultlampe funkelten: wahrscheinlich schauten auch die Musiker längst nicht mehr in ihre Notenblätter, hatten deswegen auch ihre mürrischen Beamtengesichter verloren, sie und der ganze Saal hinter ihm hingen wie er nur noch am Spiel der Hände, deren Weg durch die Luft vom Gefunkel der Manschetten besät wurde. So gewappnet fuhr er mit der Straßenbahn ins Funkhaus.
     Jawohl, mit der Straßenbahn. Davon würde er vorerst noch nicht abgehen, sooft er auch bei seinen neuen Bekannte das Wort Taxe oder Chauffeur hörte. Intendant Dr. ten Bergen gab seinen Presse-Tee. Hans hatte gleich nach der Party einen Antrittsbesuch im Philippsburger Funkhaus gemacht; Dr. ten Bergen war verreist gewesen und hatte ihm hinterlassen, Hans möge unbedingt und sofort nach des Intendanten Rückkehr wiederkommen. Hans war durch die Funk- und Fernsehstudios geführt worden. Der Pressechef des Intendanten, ein gemütlicher älterer

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