Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Herr, der stets ohne die geringste Mühe lächelte, aber keine halbe Stunde ohne einen Drink lebend überstanden hätte – eine Berufskrankheit, hatte er gesagt, man müsse eben immer und dann tue man’s schließlich auch ohne Zwang –, der war mit ihm durch die bunten Räume gegangen, in denen weiße Mäntel herumsaßen und auf kleine Metallkapseln einredeten; durch enge Kabinen, in denen gelangweilte Mädchen ihre Hüften gegen lackierte Kommoden lehnten, auf denen sich was drehte; diese Mädchen wandten die Köpfe in einer langsamen Kreisbewegung der Tür zu, wenn man eintrat, wie jene feineren Pferde, die die Bauern nur noch zum Reiten benutzen oder vor den leichten Rennwagen spannen, weshalb diese hochbeinigen Renner und Traber dann die ganze Woche über im Stall stehen und sich in stumpfer Erwartung jedem öffnen der Türe entgegendrehen, in den schläfrigen Augen die Frage: ob immer noch nicht Sonntag sei? Und ähnlich wie der Bauer, wenn er einen Besucher werktags zu seinen Lieblingspferden führt, diese dann liebkosend auf die Kruppe tätschelt, so klopfte auch der heitere Pressechef den Mädchen da und dort wohlwollend auf ihre besten Partien. In die Studios durften sie nur durch die Scheiben sehen; im ersten standen fünf, sechs erwachsene Männer und schrien heftig gestikulierend auf ein winziges Mikrophon ein. Im zweiten saß eine alte Frau ganz allein. Sie schien der Metallkapsel ihr Leid zu klagen, weinte gar, hob die Hände, ließ den Kopf nach vorne fallen, holte ein Taschentuch, klagte und klagte; aber die Metallkapsel hatte offensichtlich kein Erbarmen. Da wurde ihr Gesicht zornig, blähte sich, daß alle Falten verschwanden, die Augen traten aus dem Kopf, aus ihren runden Klagehänden wuchsen Krallen, die auf die Kapsel losfuhren, der Mund öffnete sich zu einem Schrei, blieb offenstehen, sie selbst verharrte wie vom Schlag gerührt in dieser Haltung, bis eine Tür aufging, ein Herr, dem die Zigarette erbärmlich schief im Munde hin, zu ihr hintrat und sagte (man hörte es durch die geöffnete Studiotür bis auf den Gang heraus): »Zuviel Saft, Eva, müssen wir noch einmal machen.«
     Im letzten Studio, das sie besucht hatten, saß gar ein geistlicher Herr vor dem Allerheiligsten dieses Hauses, vor der winzigen Kapsel. Sein Gesicht wogte in freundlichen Falten. Er schien der Kapsel Trost zuzusprechen. (Da man diese Menschen ja nur durch dicke Scheiben hindurch sah und kein Wort von dem, was sie sagten, hörte, meinte man, die Kapsel, auf die sie einredeten, verschlinge alles, was den Menschen aus dem Mund kam, so ungeheuer rasch, daß auch nicht ein Buchstabe davonkam und sich etwa in ein menschliches Ohr retten konnte.) Der geistliche Herr hob jetzt einen strengen Zeigefinger und schüttelte ihn heftig in der Luft, als habe er der Kapsel Vorwürfe zu machen, jawohl, nicht gar alles stehe zum Besten mit ihr, das dürfe sie sich nicht einbilden! Aber dann siegte anscheinend doch seine rundliche und hilfsbereite Natur, und er beschloß seine Rede an die Kapsel mit einem Lächeln, das er ihr so deutlich zeigen wollte, daß er sie fast mit den Lippen berührt hätte. Und, um Gottes willen, was tat er da, er faltete die Hände und betete die Kapsel jetzt auch noch an! Hans hatte gerne eingewilligt, vor der Besichtigung der Fernsehstudios einen »Drink« zu nehmen. Dann war er in die Regiezentrale geführt worden: die Fernsehleute sprachen – das war der Unterschied zum Rundfunk – nicht in eine, sondern in viele Kapseln hinein. Und in allen möglichen Räumen saßen, lagen und liefen Leute umher, die kleine Knöpfe in den Ohren trugen und jeweils das taten, was ihnen diese Knöpfe sagten. Das Wichtigste war, daß auf dem Radioapparat mit der Glasscheibe immer ein Bild war, das man erkennen konnte. Viel mehr hatte Hans nicht verstanden, obwohl der Pressechef, der hier auch kapitulierte, mindestens fünf Herren herbeigerufen hatte, von denen jeder einen Sektor dieses Geheimnisses erklären konnte, aber es gelang Hans nicht, diese einzelnen Sektoren zusammenzusetzen. Wahrscheinlich wußte jeder von diesen fünf Herren auch nur seinen Teil, und das Ganze war bis jetzt noch unbekannt. Die Hauptsache war ja auch, daß das Bild auf der Scheibe lächelte ohne zu zucken. Manchmal zuckte es nämlich. Dann herrschte große Bestürzung und alle schrien so lange in die Kapseln hinein, bis es wieder ruhig lächelte. Als sie die Regiezentrale verließen, lächelte das Bild. Gott sei Dank, dachte Hans. Hans war

Weitere Kostenlose Bücher