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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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froh, diese erste Begegnung mit der Praxis hinter sich zu haben, als er zum Presse-Tee fuhr. Der Redakteur der »programm-press« mußte seinen Kollegen von der Tagespresse doch wenigstens ein bißchen praktische Einsicht voraushaben.
     Der Pförtner im Funkhaus hatte von allen Lächeln, die er bis jetzt in Philippsburg gesehen hatte, das freundlichste. Er saß hinter seiner Glasscheibe, wie in der Badewanne. Hans sagte nur: »Presse-Tee«, da sagte der Pförtner sofort: »Dritter Stock, Empfangssaal.«
     Der Messeraum einer Weltraumstation. Gewellte Wände, die Decke eine große S-Bewegung, mehrfarbig, das Licht wuchs überall heraus. Die Formen der Tische schienen ihre Entstehung der Explosion eines Onyxfelsen zu verdanken, lediglich in der Dicke der Tischplatten hatte man sich phantasielos mit einem einzigen Maß begnügt. Die Beine dagegen waren verschieden dick und gleißten auch in den krassesten Mustern und Farben. Die Aschenbecher schienen erstarrte Tiefseetierchen zu sein. Die Sessel mußten teils von Gynäkologen, teils von Karosseriebauern, bestimmt aber von Exhibitionisten entworfen worden sein. Die Bezüge waren in den ernsten Farben alter Kirchenfenster gehalten. Der Bodenbelag war so, daß man versucht war, die Schuhe auszuziehen. Die anderen Pressekollegen waren wahrscheinlich schon so oft hier empfangen worden, daß sie nicht mehr erschreckt werden konnten. Ob sie einander alle kannten? Ob außer ihm vielleicht noch ein Neuer dabei war? Er hätte sich vorstellen sollen. War Dr. Abuse nicht da, der Pressechef? Doch, da stand er, natürlich ein Glas in der Hand. Wenn der ihn vorgestellt hätte! Aber sich, seinen Namen und seine Hand zwanzig bis dreißig Herren anzubieten, die herumstanden, in der einen Hand das Glas, in der anderen die Zigarre oder Zigarette, wie hätten sie ihm die Hand geben sollen? Der Eintritt des Intendanten enthob ihn dieser Sorgen. Ein lilafarbener Anzug flatterte heute um seine hagere Gestalt. Hinter seinen ausgreifenden Schritten trippelten zwei winzige Sekretärinnen her; sie schleppten Papier und ganze Bündel neuer Bleistifte mit sich. Der Intendant selbst war flankiert von zwei jungen Herren, deren Haare auf die Kopfhaut gemalt zu sein schienen, so glatt lagen sie an. Als sich alles gesetzt hatte, stellte sich heraus, daß der Intendant, seine zwei Herren, der fröhliche Pressechef und Programmdirektor Relow, der heute einen gletscherfarbenen Anzug trug, am größten Tisch an der Stirnseite des Saales Platz genommen hatten. Schräg hinter ihnen die Sekretärinnen, die jetzt ihre Bleistiftspitzen in Millimeterhöhe über dem Papier hielten und mit gesenkten Köpfen wie Hundertmeterläuferinnen auf den Startschuß warteten. Früher, dachte Hans, wäre der Intendant bestimmt Erzbischof geworden.
     Der Intendant begann: er hätte es vor seinem Gewissen nicht verantworten können, wenn er nicht regelmäßig den Herrn von der Presse, die gleichzeitig Vertreter und Bildner der öffentlichen Meinung seien, Einblick gegeben hätte in seine Pläne; er messe dieser heutigen Sitzung, was sage er, Sitzung, davon habe er sonst mehr als genug, Sitzung, das sei der Tod der künstlerischen und publizistischen Arbeit, nein dies sei für ihn keine Sitzung, sondern ein freundschaftliches Treffen mit den Herren, die ihn in der Zeit seiner Tätigkeit, in all diesen schweren und schönen Jahren begleitet und gefördert, ja, gefördert hätten, und da sei er wieder beim Anfang: dieser heutigen Zusammenkunft messe er eine besondere Bedeutung bei, weil es gelte, Bilanz zu ziehen, Abrechnung zu halten über Verlust und Gewinn; ob er nun wieder einziehe in dieses Haus nach der Wahl oder nicht, darauf komme es am wenigsten an, aber die Rechnung müsse gemacht werden, Ordnung müsse sein in einem so großen Haus, und die Öffentlichkeit, deren Gelder hier verbraucht würden, habe ein Recht darauf, Einblick zu erhalten in alles. Es war eine bewegende Rede. Und das nasale Filter gab die melancholisch-seriöse Färbung, die heute mehr am Platze war denn je. Alles wurde für die Öffentlichkeit getan, auf alles hatte die Öffentlichkeit Anspruch, die Öffentlichkeit war es, für die die Geschäfte geführt worden waren, das Interesse der Öffentlichkeit war sein Leitstern gewesen und würde sein Leitstern sein… Die Öffentlichkeit? Wer ist das bloß, dachte Hans, spricht er von ihr nicht wie von einer teuren Toten, deren Nachlaß er zu verwalten hat, zu verteidigen auch gegen allerlei Erbschleicher?!

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