Ehen in Philippsburg
langsam durch den Raum schlingerten und schwebten, sich endlich auf einen der Tische niederließen und dort zähe auf der Platte hin und her wogten (einem sterbenden Reptil gleich, das sich von der Erde wegkrümmt), bis sie sich schließlich doch auflösen mußten. Herr Relow sah diesen Agonien interessiert zu. Es gelang ihm auch einige Male, mit seinen kunstvollen Rauchringen die Augen fast aller Anwesenden von dem unentwegt weitersprechenden Intendanten abzuziehen. Hans schrieb über diesen Presse-Tee einen Bericht, der von Herrn Volkmann um die Hälfte gekürzt wurde. Alles, was Hans zugunsten des Intendanten eingefallen war, wurde gestrichen. Zu seinem Erstaunen las Hans auch in der Tagespresse, deren Vertreter er bei dem Presse-Tee noch kennengelernt hatte, fast nur negative Kommentare über die Tätigkeit dieses Intendanten. War am Ende des Empfangs nicht der Intendant Sieger geblieben? Hatten nicht seine Argumente das Feld behauptet? Alle Fragen hatte er beantwortet, alle Einwände widerlegt, die Journalisten hatten es selbst zugegeben, und dann waren sie heimgegangen und hatten ihre Einwände, als wäre nicht darüber gesprochen worden, zu Artikeln gegen Dr. ten Bergen ausgewalzt. Dieser Intendant schien wirklich verloren zu sein. Hans sah ihn reden, sah ihn Besuche machen, reden und reden, Zahlenkolonnen marschierten aus seinem Mund heraus und direkt in die freundlichen oder gelangweilten Gesichter seiner Zuhörer hinein; er konnte alles auswendig, was für ihn sprach, er hatte Belege, er meinte es gut, er appellierte, versprach, bog seinen Graukopf tief auf seine Brust, er schmeichelte, beschwor die Vergangenheit und die Zukunft herauf, wurde wahrscheinlich allmählich unruhiger, die Termine häuften sich, das winzige Kalenderchen wurde strapaziert wie noch nie, sein Chauffeur kam nicht mehr zum Schlafen, die Bleistifte seiner Sekretärinnen zitterten, und die glatten Gesichter seiner zwei jungen Ordonnanzen mußten in diesen Tagen zusehends verfallen, vielleicht mußte sogar Dr. Abuse auf seinen halbstündlich notwendigen Drink verzichten in der wachsenden Erregung vor dem Tag der Wahl. Und dann war es soweit: die Räte wählten – und Dr. ten Bergen fiel durch. Mit einer großen Mehrheit von Stimmen wurde Professor Mirkenreuth von der Technischen Hochschule zum Intendanten gewählt.
»Sehen Sie«, sagte Herr Volkmann, »wir hätten uns blamiert, wenn wir ten Bergen gelobt hätten. Und jetzt müssen Sie als erster ein Interview mit Professor Mirkenreuth machen.«
In Hans’ Vorstellung erschien Frau ten Bergen, sie stand am Fenster und gab keine Antwort auf die Fragen ihres Mannes; der saß im Sessel, die Fäuste in die Augen gestützt.
Als Herr Volkmann gegangen war, sagte Anne: »Du… jetzt ist es schon zum zweiten Mal ausgeblieben.« Hans erschrak, sagte aber leichthin: »Das gibt sich schon wieder.«
»Und wenn es sich nicht gibt?« fragte Anne. Hans dachte an seine Mutter, dachte an seinen Vater, den er nie gesehen hatte, der nie mehr von sich hatte hören lassen. Vier Wochen war er im Dorf gewesen, der Herr Vermessungsingenieur, hatte im Gasthaus gewohnt und abends den runden Tisch freigehalten, hatte sogar den Wirt ins Bett geschickt; er und Lissi könnten allein Schluß machen; für Umsatz und genaueste Abrechnung verbürge er sich! Er war sehr beliebt gewesen im ganzen Dorf, die Frauen hatten ihm nachgeschaut, und Lissi Beumann, die junge Bedienung in der »Post«, war die Auserwählte gewesen, für ein paar Wochen, dann war er abgereist; später, als sie ihn gebraucht hätte, als sie ihm immer heftigere Briefe geschrieben hatte, war er auch in Philippsburg nicht mehr zu erreichen gewesen; Lissi Beumann war selbst in die Stadt gefahren, hatte die Wohnung des Ingenieurs gesucht, hatte mit den Hausleuten gesprochen und zu hören bekommen, daß der Herr Ingenieur nach Australien ausgewandert sei, um dort Land zu vermessen. Von der Regierung selbst habe er ein Angebot erhalten. Seitdem hätten sie nichts mehr von ihm gehört. Schließlich hatte Lissi Beumann erfahren, daß in der Kreisstadt ein Eisenbahnarbeiter helfen könne; der war allerdings nur übers Wochenende zu sprechen. Aber sie hatte es fertiggebracht, ihren freien Tag ausnahmsweise an einem Samstag zu bekommen, und war in die Stadt gefahren. Es war noch gar nicht so lange her, daß sie das Hans alles erzählt hatte. Der Eisenbahner sei im Krieg Sani gewesen, aus jener Zeit habe er noch Tabletten, einen Spiegel und ein paar
Weitere Kostenlose Bücher