Ehen in Philippsburg
Sonden gehabt, sauber gepflegtes Handwerkszeug. Er habe gleich, als sie in die niedere Stube getreten war, seine Frau und die Kinder hinausgeschickt und habe ihr erzählt, daß er es an den Rotkreuzschwestern gelernt habe. Was er verlange, hatte ihn Lissi Beumann gefragt. Oh, darüber könne man doch reden, sie solle sich zuerst einmal ausziehen, ganz, jawohl ganz und gar. Und dann habe er etwas von ihr verlangt, was ihr unmöglich gewesen sei, auch unter diesen Umständen unmöglich. Sie sei aufgesprungen, habe sich so rasch angezogen wie noch nie in ihrem Leben, er habe gelächelt und ihr nachgerufen: sie könne es sich ja noch einmal überlegen, das gehöre bei ihm nun einmal zum Preis, und alle, die zu ihm kämen, bezahlten ihn auch, wenn nicht beim ersten Besuch, dann beim zweiten. Aber Lissi Beumann war nicht mehr gekommen. Die Ärzte, zu denen sie noch gerannt war, hatten ihr von der Würde der Mutterschaft vorgeschwärmt, hatten sie beglückwünscht und gleichzeitig getröstet. So war denn Hans Beumann doch geboren worden. Aber das ganze Dorf war von Anfang an gegen ihn gewesen. Alle hatten Lissi Beumann ihr Verhältnis mit dem Ingenieur mißgönnt. Und er war die Frucht dieses Verhältnisses gewesen. Hans sagte: »Ich verstehe nichts davon. Was soll ich tun?« Anne sagte was vom Heiraten. Hans erschrak wieder. Er hatte noch nie daran gedacht. Er redete auf Anne ein. Listig wand er ihr Sätze um den Kopf, als wären’s Girlanden. Heiraten ja, aber doch nicht unter Zwang, doch nicht unter solchen Umständen, das wirke sich aus, später, wenn die geringste Uneinigkeit auftauche, wenn es Schwierigkeiten gebe – und wo gebe es die nicht! – dann zanke man sich, mache sich Vorwürfe, weil man sich ja gegenseitig gezwungen habe; die Ehe werde zu einer unaufhörlichen Buße für diese paar schönen Wochen, die Ehe werde ein Gefängnis, für den Mann zumindest, der einfach nur leben könne, wenn er das Bewußtsein habe, alles, was ihn bestimmte, frei gewählt zu haben…
Anne widersprach bald nicht mehr. Vor allem, als Hans ihre Mutter erwähnt hatte und die Augen der Philippsburger Gesellschaft; als er ihr vorrechnete, wie man diese Eheschließung kommentieren würde; daß sie in den Ruf kommen würde, sie haben Hans nur deswegen geheiratet; und er würde verdächtigt werden, er habe Anne in voller Absicht in diesen Zustand gebracht, um sie zu bekommen, er, der mittellose und unbekannte Journalist die reiche Fabrikantentochter: das würde sein Ansehen ein für allemal vernichten. Heiraten könne man später immer noch, wenn sie wolle, wenn ihre Eltern einverstanden seien und er sich als ein Mann bewährt habe, der eine Familie gründen dürfe…
Anne stimmte endlich ganz zu. Hans mußte Professor Mirkenreuth besuchen. Anne wollte zu Dr. Benrath gehen, der ja Gynäkologe und gleichzeitig Freund der Familie war. Professor Mirkenreuth bot Kaffee an und Cognac und Zigaretten, sorgte für Bequemlichkeit und breitete behaglich seine Biographie vor Hans’ Bleistift aus. Hans lernte einen musterhaften Mann mit einer musterhaften Biographie kennen. Der Professor war früher selbst Journalist gewesen, sogar beim Rundfunk hatte er schon gearbeitet, Schulfunk, ja, und dann war der Krieg gekommen, den er als Kriegsberichterstatter an allen Fronten kennengelernt hatte. Bis auf den heutigen Tag existierten noch seine berühmt gewordenen Schilderungen von Luftkämpfen auf Tonband. Er spielte Hans eines davon vor. Er selbst war in einem »Jäger« mitgeflogen, hatte den ganzen Kampf aufgenommen, auch das, was über die Kehlkopfmikrophone laut wurde: die Atemzüge der Flugzeugführer, der feindlichen und der eigenen, die Beschimpfungen, in die sie während des Kampfes ausbrachen, die Flüche, die Warnungen, die sie den Staffelkameraden zuriefen, wenn ein Gegner sich von rückwärts aus dem toten Winkel heranpirschte, und schließlich sogar noch die letzten Schreie der abgeschossenen Flugzeugführer, der tonlose Schrei: ich brenne; der gurgelnde Fluch: damned; das Röcheln, das in Geprassel unterging, bis zu dem Klick, dem Geräusch, das den Augenblick festhielt, in dem Mirkenreuth sein Aufnahmegerät wieder abgeschaltet hatte. Gegen Ende des Krieges waren seine Reportagen verboten worden, er hatte Innendienst tun müssen, dafür aber hatte ihn die Besatzungsmacht sofort rehabilitiert, er war beauftragt worden, die Volkshochschulen im Lande aufzubauen, für Verbreitung demokratischer Gesinnung zu sorgen, und schließlich
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