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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gewesen, wenn seine Taten im Ruhm hätten dauernde Auferstehung feiern können, wenn er im Nachtlokal »Sebastian«, wo er ja Stammgast war und Schlüsselherr (denn das Sebastian war eine Schlüsselbar, exklusiv also im ganzen Sinn des Wortes, und die Schlüsselherren waren fast ein Orden), wenn er im Sebastian hätte beginnen können: Hört Freunde… und dann hätte er in die vor Respekt und Erstaunen schweigen de Runde hineinerzählt: ja, da habe ich doch in Hamburg, oder war es in Stuttgart, ich weiß es nicht mehr, ich sprach da auf jeden Fall mit einer Dame und lud sie dann auch zu noch näherer Bekanntschaft ein, und was, ratet einmal, sagt die zu mir: mein Herr, ich bin verheiratet! Na und ich darauf, ohne auch nur ein Quentchen Luft zu holen: das trifft sich ja ausgezeichnet, Madame, ich auch! Daß danach natürlich die Ampel auf Grün sprang, brauche ich wohl nicht mehr zu sagen. Wie ja überhaupt jede Frau zu haben ist, wenn man es wirklich darauf abgesehen hat, aber auch jede. Bitte, manchmal will man ja gar nicht, da gibt man auf, freiwillig, aber wenn man will, dann kommt einem keine aus! Bitte, ich will keinem zu nahe treten, ich urteile da nur nach meinen ureigenen Erfahrungen, vielleicht sind die nicht übertragbar, das mag sein, so was kann man ja schlecht beurteilen. Ja, was ich noch hinzufügen muß, damit ihr mich nicht für einen dummen Optimisten haltet (wie die meisten Optimisten genierte sich auch Dr. Alwin, einer zu sein), ich weiß auch, daß die Liebe nicht bloß eine rosige Angelegenheit ist, in der man von Erfolg zu Erfolg schreitet. Ich müßte weniger Erfahrungen hinter mich gebracht haben, als es Gott sei Dank oder leider – ich schwanke hier wirklich, was ich sagen soll – der Fall ist, um nicht zu wissen, daß jede neue Affäre ein Griff nach dem Unmöglichen ist und den Keim der Enttäuschung schon von Anfang an in sich trägt. Ich sage euch eines, Freunde (hier würde Dr. Alwin die ganze Runde noch einmal prüfen, gewissermaßen um zu sehen, ob sie würdig sei, die Quintessenz seiner Erfahrungen zu vernehmen): die Frau, die wir lieben, ist immer ein Ersatz für eine, die wir noch nicht haben, oder (Alwin würde die Stimme senken und zweimal schlucken) oder nie haben werden… Aber all das durfte er sich ja nicht gestatten. Wenn er seine Frau wenigstens hätte wissen lassen können, wie treu er ihr in dieser Hinsicht war! Das war leider ganz unmöglich. Er hätte, um ihr seine Treue in der Wahrung eines einwandfreien Familiengesichtes rühmen zu können, auch alles andere, gerade das, womit er sie nicht behelligen wollte, verraten und ihr auf den Hals laden müssen. Und so schwer es war, anständig zu sein, ohne daß ihn jemand dafür bewunderte, Ilse zuliebe brachte er es fertig und blieb diskret.
     Aber sie sollte ihn jetzt bald um anderer Eigenschaften willen bewundern. Und nicht nur sie! Wenn seine politische Laufbahn erst einmal in die Höhe führen würde (er hatte dabei unwillkürlich die Vorstellung von einer marmornen Straße, die aus einer Gasse aufsteigend über die höchsten Häuser der Stadt hinwegführte, feierliche Leuchter zu beiden Seiten, triumphale Architekturen), dann würde er sich nicht mehr im Dunkel herumplagen müssen wie bisher, dann würde er auch Ilse ein anderes Leben bieten können. Bisher war er nichts gewesen, ein kleiner Anwalt, von Terminen gehetzt, stundenlang vor Klienten sitzend, um deren schlecht formulierte Reden anzuhören, Tag für Tag unterwegs wegen Testamentsanfechtungen und Mieterzwist! Jetzt aber würde er aus der christlich-sozial-liberalen Partei eine Führungspartei machen, ein Machtinstrument für seine Interessen. Ilse mußte noch ein wenig Geduld haben. Die Zeit, da er keine anderen Bestätigungen mehr nötig hatte, würde kommen, und das würde dann ihre Zeit sein, seine und ihre Zeit, der Beginn eines neuen Lebens, das jeden Morgen mit einem ausgedehnten zärtlichen Frühstück auf einer Sonnenterrasse gefeiert werden sollte! Er war sich der Liebe zu seiner Frau so sicher, daß er sich kaum bemüßigt fühlte, sie dann und wann einmal nachzuprüfen. Er trug sie gewissermaßen in einer fest verschlossenen Kapsel mit sich herum und verehrte die Kapsel für ihren Inhalt. Die Zärtlichkeit, die er all die Jahre hindurch für seine Frau aufgebracht hatte, die ihn, wenn sie aufbrach, ganz übermannte, die ihn rührte, die er sich hoch anrechnete, weil er sie als eine edle menschliche Leistung empfand (sie drängte ja, da er das

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