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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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auswärts hatte, auf nichts Körperliches hin, war reine Zuneigung), diese Zärtlichkeit war für ihn zum Statthalter der künftigen Liebe geworden: es war eine zelebrierte Zärtlichkeit, rituell und regelmäßig, bereichert durch Zufälle, Anschwemmungen des Klimas, der Jahres- und Tageszeiten, der wechselnden Temperaturen (und wie gesagt, kaum Bettaufbrüche dabei), Demonstrationen halt, die er sich selbst und dem Familienbewußtsein zuliebe veranstaltete, um zu beweisen, daß das gemeinsame Leben von den rechten Gefühlen getragen sei. Und dann war diese Zärtlichkeit auch ein Racheakt gegen seine Geliebten. Es war Zorn in dieser Zärtlichkeit, Zorn gegen die Geliebten. Es sollte ihnen damit bewiesen werden (in Herrn Dr. Alwins Bewußtsein), daß es keiner von allen gelingen werde, ihn daran zu hindern, seiner Frau das tägliche erotische Brot zu verabreichen, und war’s auch bloß Brot und keine fette Suppe, es war doch ein dauerhaftes und regelmäßiges Brot, und aus ihm – das rief er der ganzen Welt und insbesondere der vor ihm stehenden Reihe seiner vergangenen und gegenwärtigen Geliebten zu –, aus diesem Brot, dessen Name Dauer ist, würden dereinst die… die… Dr. Alwin mußte scharf bremsen, weil ein Fußgänger die Straße nicht rasch genug geräumt hatte. Das brachte ihn um den glanzvollen Schluß seines Satzes, den er gerade der Welt hinzuschleudern im Begriff gewesen war. Auf jeden Fall war Ilse besser als alle anderen. Sie saß neben ihm, er war stolz, im eigenen Wagen, eine Abendfahrt, Lichter oben, quer und längs und im nassen Asphalt, das Gezirpe der braven Scheibenwischer, die er für so zuverlässig hielt wie sich selbst, nur war’s bei denen selbstverständlich, sie konnten nicht anders, waren Apparate, aber er, ein Mann von seiner Phantasie, daß er zuverlässig und, im Grunde genommen, doch einer einzigen Frau treu war, das war schon etwas, an das er nicht denken konnte, ohne daß ein Prickeln seine Haut überfuhr, etwas Großes, in die Zukunft Weisendes, Beifall bitte… Dr. Alwin lächelte. Warum sollte er den Mund nicht auch einmal etwas voller nehmen dürfen, er war immer zu bescheiden gewesen, aber wenn er schon mit Ilse durch die Stadt fuhr, so festlich gekleidet, eingeladen zu einer Verlobungsparty, zu der nicht jeder geladen wurde, das war schon eine Freude, die einem den Mund füllen durfte. Eine Freude auch, dachte Alwin, und eine milde Trauer breitete sich wohltuend in ihm aus, eine Freude, die er gerne seiner Vera gegönnt hätte! Aber leider, leider – so beschränkt sind des Menschen Möglichkeiten – konnte er das Glück, ihn zu dieser Party begleiten zu dürfen, nur einer Frau bescheren, und das war natürlich, bei aller Verliebtheit in Vera, doch Ilse! Und doch, wenn er mit Vera im Grünen Salon bei Volkmanns erscheinen würde, das wäre ein Auftritt! Und wenn er sie vorstellen würde, der Hausfrau zum Beispiel, dieser affektierten Gans, die sich bewegte wie ein italienischer Tenor, der in einer ihm unverständlichen Fremdsprache eine Rolle singt, von der man ihm gesagt hat, daß sie tragisch ist. Und was würde Büsgen sagen, und erst Frantzke, wenn Vera ihn begrüßen würde: Guten Abend, Herr Frantzke, mit ihrer Stimme, so tief wie ein Fluß in der Nacht. Und ihre Augen erst! Der Frantzke würde staunen, wenn der dicke Alwin mit einer Frau käme, der die Augen ganz schräg im Gesicht lagen, und groß waren wie Hummeln, sie waren überhaupt wie trunkene Hummeln, wenn ihm ein so ausgreifender Vergleich gestattet war. Ja, Vera verdiente schon, da er sie liebte. Die Schöpfung machte ihn in Vera mit Eigenschaften bekannt, die er wahrscheinlich sonst nirgendwo mehr antreffen würde, und das war für ihn eine Aufforderung, diese Nuance der Kreatur nicht unbesehen der allgemeinen Vernichtung zutreiben zu lassen. Und dann ihre Ergebenheit! Sie verehrte ihn so, wie er sich selbst verehren würde, wenn er in einer zweiten Person auftreten könnte. Solange er noch keinen über alle Häuser der Stadt hinwegstrahlenden Namen hatte, war ihm die Bewunderung und Verehrung, die ihm nachts in den Zimmern seiner Geliebten zugeflüstert wurde, so wichtig wie die Nahrung am Tage. Später, wenn einmal die Leute nach links und nach rechts auseinandertreten würden, wenn er irgendwo erschien, wenn sie seinen Namen mit vorgehaltener Hand ihrem Nachbarn zuraunen würden, stolz darauf, daß sie ihn kannten, der Nachbar aber noch nicht, später, wenn solche Spaliere der Bewunderung seine

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