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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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fühle, daß sie nie wagen würde, seine Frau zu werden, daß sie es als ein reines Geschenk betrachte, ihn dann und wann bei sich empfangen zu dürfen. Sie hatte ihr Auskommen als Platzanweiserin im Kino und hätte von ihm nie etwas erbeten, ja sie weigerte sich sogar, Geschenke anzunehmen. Da sie ihn so sehr von allen Verpflichtungen entband und sich trotzdem immer nur als die Beschenkte fühlte, sah er keinen Grund, mit ihr zu brechen. Vera brachte Alwins Ehe jenen Respekt entgegen, den Alwin von seinen Geliebten zu fordern gewohnt war. Nur sich selbst gestattete er in den wenigen Sekunden der völligen Vereinigung, seine Frau und seine Ehe zu vergessen oder zu verleugnen. Die dem Bett vorausgehenden Kaffee- oder Kognakgespräche aber durften seine Ehe nicht verletzen, das mußte er sich ausbedingen, das war er Ilse und seinem Gewissen schuldig. O ja, Dr. Alwin war nicht bedenkenlos, er verlor sich nicht so leicht, und er war stolz darauf, daß er seiner Frau auch noch in der verborgensten Kammer Achtung verschaffte und ihr auf seine Weise auch hier die Treue hielt. Wenn er es Ilse bloß hätte sagen können! Sie wußte ja gar nicht, was sie für einen Mann hatte! Wenn er daran dachte, wie andere ihre Frauen preisgaben, schon in den Armen einer Prostituierten! Prostituierte kamen für ihn überhaupt nicht in Frage. Das würde er Ilse nie antun. Und sich selbst auch nicht. Auch noch Geld ausgeben für etwas, was er anderswo umsonst haben konnte! Aber es gab auch noch andere Gründe, die gegen Prostituierte sprachen, hygienische Gründe und vor allem psychische, jawohl, denn diese bezahlten Frauen brachten ihm nicht jene Verehrung, jene dienende Hingabe entgegen, die er von seinen Geliebten verlangte. Er hatte das schon in seinen Studentenjahren erfahren. Seitdem wußte er, daß er einfach zu sensibel war, um das rohe Geschäftsgebaren dieser Straßenmädchen zu ertragen. Und dann konnte die ja jeder haben, während er sich bei seinen Geliebten schmeicheln durfte, der Eroberer zu sein, der einen anderen aus dem Feld geschlagen hatte, oder doch einer, der alle seine Vorgänger übertraf. Bei jeder Frau, die er für sich gewann, fragte er nach seinen Vorgängern und ließ sich bestätigen, daß er sie alle bei weitem übertreffe. Wo diese Bestätigung ausblieb, machte er sehr schnell Schluß. Er ertrug es nicht, einer unter anderen zu sein. Was die Öffentlichkeit noch nicht wußte, was sie aber bald erfahren würde, wenn der jetzt Fünfunddreißigjährige nach den nächsten Wahlen in den Landtag einziehen würde und später vielleicht sogar in den Bundestag, was die Öffentlichkeit dann erst erkennen würde, daß Dr. Alexander Alwin ein Besonderer war, eine Kraftnatur, ein Herrschermann, das sollten seine Geliebten jetzt schon wissen, sollten es ihm bestätigen und sollten ihn darum lieben und bewundern. Hatte eine keine Augen dafür, bitte, das war ihre Sache, dann konnte er ihr nicht helfen, dann hatte es auch keinen Sinn, daß er sie auch nur noch ein einziges Mal sah.
     Schmachten, nein danke, Dr. Alwin nicht! Er war gewohnt zu siegen. Vitalität, das war sein Schlüsselwort, mit Vitalität würde er Politik machen, einen neuen Stil der politischen Laufbahn kreieren. Andere mochten klug sein, wieder andere erfinderisch, raffiniert oder vorsichtig, er war vital, das konnte ihm keiner bestreiten, und mit Vitalität würde er seinen Weg machen.
     Dann sagte er plötzlich laut vor sich hin, so als hätte er die ganze Zeit über nur diesen einen Gedanken gehabt: »Ilse, du bist besser als alle anderen.« Über seinen Rücken spürte er prickelnde Schauer laufen bis hinunter, wo er saß, wo der Druck, den sein Gewicht auf seiner Haut erzeugte, die Schauer nicht mehr weiterlaufen ließ. Ilse sagte: »Danke schön.« Sie lächelte herüber. »Du bist so vernünftig. Du kannst warten«, sagte Alwin. »Aber allmählich wäre es doch Zeit, daß wir Kinder kriegten«, sagte Ilse, »und zwar zwei hintereinander, dann hat man die Arbeit nur einmal, und sie wachsen zusammen auf, erziehen sich gegenseitig, und wir sparen viel Geld.«
     »Ja, ich glaube auch, es ist Zeit«, sagte Alwin und war sehr stolz bei dem Gedanken, daß Ilse die einzige Frau sei, die von ihm Kinder kriegen würde. Seine Geliebten hatten sich immer verpflichten müssen, aufzupassen, daß nichts passierte.
     Der Regen trommelte aufs Auto, und Alwin war glücklich, daß er Ilse unter dem prasselnden Regen hindurch trocken und warm einer Abendgesellschaft

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