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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ein professioneller Funktionär in der immer mächtiger und wichtiger werdenden Sportadministration geworden, und das hatte Herr Alwin senior nur seinen eigenen Muskeln und später auch seinem Geist zu verdanken gehabt. Wenn da aber jemand überheblich genug sein sollte, die Fähigkeiten, die ein Turner haben muß, um in der Sportadministration bis in den Landesverband aufzusteigen, nicht als geistige Fähigkeiten gelten zu lassen, so waren es auf jeden Fall menschliche Qualitäten und eine kluge und mit Führereigenschaften gesegnete Persönlichkeit, die ihn zu solchem Aufstieg geeignet machten. Obwohl also Alwin aus einer geradezu leidenschaftlich demokratischen Familie stammte, der Vater ein Turner, die Mutter jahrzehntelang Garderobiere im Philippsburger Stadttheater – beide sogar in ihrem Beruf der Zahl ergeben, der korrekten, durch keine Privilegien zu vertuschenden Maß- und Erkennungszahl, auf dem Sportfeld und in der Garderobe –, obwohl Alwins Geist (und bei ihm von Geist zu sprechen, dürfte in der Geschichte dieser Familie wirklich nicht mehr verfrüht sein) also von Kindheit an geeicht worden war, nur das gelten zu lassen, was ihm einer meßbar in Zahlen vorweisen konnte, so war er doch stolz darauf, daß es ihm gelungen war, eine von Salow zu heiraten. Vielleicht war die Tatsache, daß Ilse eine geborene von Salow war, sogar ausschlaggebend gewesen für seinen Entschluß, die junge Rechtsanwältin zu heiraten. Und da er kein Duckmäuser sein wollte vor sich selbst, und da er noch zu Lebzeiten seines Vaters geheiratet hatte und der ihn hätte vielleicht fragen können, warum denn gerade eine Adelige, wo wir doch unsere demokratische Tradition so hochhalten, mein Sohn, eine deutsche Turnerfamilie, die da lebt frisch-frommfröhlich-frei, warum jetzt das (der Vater hatte aber nicht gefragt, denn er war sehr stolz gewesen, als er von der Wahl seines Sohnes gehört hatte und noch stolzer, als diese Wahl dann mit allen Zutaten traditionsreichen Adelsgepränges in einer teuren Hochzeit realisiert worden war), ja, weil da immerhin von irgendwoher, aus ihm selbst oder von außen, Gewissensfragen hätten gestellt werden können, hatte Dr. Alexander Alwin diese Heirat dem demokratischen Denken seiner Familie durch eine kluge Auslegung versöhnt.
     Er hatte sich gesagt, bei allem ererbten Fürstenhaß, bei allem angestammten Kampf gegen falsche Anmaßung und Wappenhochmut (hatte doch die Familie Alwin ihren Ursprung im Alemannischen!) muß man zugeben, daß eine solche Adelsfamilie ein Produkt aus Natur und Geschichte ist, ja in einer solchen Familie verbinden sich Natur und Geschichte so sichtbar, so lebendig wie nirgends sonst, das muß der aufgeklärte Geist anerkennen, das ist eine Tatsache, die von keiner bürgerlichen oder bäuerlichen Ideologie geleugnet werden kann. Nun verbietet unser demokratisches Denken den Fortbestand der Privilegien, gut, einverstanden, das ist ja gesichert, und er, Dr. Alexander Alwin, war der letzte, der diese Privilegien wieder zum Leben erweckt sehen wollte, aber eine Tochter heiraten, in der sich eine alte Familie verkörpert, eine Summe geschichtlicher Erfahrung, das war doch nichts anderes als die Eroberung eines Stück kostbaren Landes, die Besteigung eines besonders hohen Gipfels! Er wollte ja keine der undemokratischen Tugenden der Adelsfamilie übernehmen; warum aber sollte man die wirklichen Werte, die in diesen alten Familien zu Hause sind, die gewachsen sind durch die Jahrhunderte, warum sollte man die einfach ableugnen, warum sollte er ein Bilderstürmer sein wie irgendein farbenblinder Fanatiker? Mit Ilse erwarb er Zeit. War sie seine Frau, so hatten alle seine Unternehmungen Hinterland, Tiefe, Geräumigkeit und Herkunft. Reich waren sie gar nicht, die von Salows, nun ja, für Alwins Begriffe natürlich schon, aber was die Reichen noch reich nannten, nein, das waren sie sicher nicht. Ihr Besitz war nicht sosehr faßbar in Gutsbesitz oder in Fabriken als eben in ihrem Familienbewußtsein, in ihrem Einfluß, den sie dadurch hatten, daß in vielen Ämtern und in mächtigen Positionen der Wirtschaft von Salows saßen. Mein Gott, natürlich spekuliert da ein junger Jurist auch ein bißchen und freut sich, daß ihm Protektion winkt, aber auch ohne daß er an die Vorteile dachte, die ihm durch die Verbindung mit einer so schicksalsreichen und weitverzweigten Familie in den Schoß fallen konnten, hatte ihn der Geist dieser Familie beeindruckt, gefangengenommen sogar, wenn

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