Ehen in Philippsburg
Gäste und eine kleine Rede zur Verlobung ihrer Tochter mit Hans Beumann, den sie einen »jungen Publizisten« nannte und »ein aufstrebendes Talent«, das sich in Philippsburg schon viele Freunde erworben habe. Sie sei glücklich, ihn mit dieser Verlobungsfeier gewissermaßen offiziell in die Philippsburger Gesellschaft einführen zu dürfen, der er ja durch seine urbane Denkweise und seine liebenswürdige Art schon von Natur aus angehöre.
Alwin dachte: ich hätte mich mehr um diesen Beumann kümmern müssen. Als er zum ersten Mal auf einer Party auftauchte, da hätte ihm keiner angesehen, daß er innerhalb eines Jahres die Volkmann-Tochter angeln würde. Er ist größer als ich, aber dick ist er auch. Ein bißchen verschlafen sieht er aus. Macht ein Gesicht, als ginge ihn die Verlobung am wenigsten an. Und der alte Volkmann zwinkert mit seinen Äuglein wie immer. Der tut immer, als freue er sich über etwas, was die anderen noch nicht wissen. Na ja, vielleicht taugt der Schwiegersohn wirklich was. Publizist, hm, ein Journalist halt, der mehr sein will, als er ist, aber vielleicht ist was zu machen mit ihm. Man muß jede Möglichkeit ins Auge fassen, als wäre sie die einzige, sagt Ilse immer. Als Ilse diesen Beumann zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie gesagt: der ist nicht ganz bei sich, Komplexe hat er auch. Nun hatten nach Ilses Urteil fast alle Leute Komplexe. Wenn Wollen und Können nicht im rechten Verhältnis stehen, bilden sich Komplexe, sagte Ilse. Deshalb war es ihr so wichtig, alles, und vor allem die eigenen Kräfte und Absichten, kalt und klar einzuschätzen. Menschen mit Komplexen verachtete sie. Die Männer reichten den Damen die Aperitifgläser, um die Rede der Hausfrau mit gehörigem Beifall quittieren zu können. Die Damen hoben die Hände mit den Gläsern (sahen dabei aus wie Vögel, die die gestutzten Flügel heben, mit denen sie nicht mehr fliegen können) und zeigten mit Gesicht und Händen, daß sie mindestens ebenso zum Beifall bereit, wenn auch leider nicht fähig seien, wie ihre laut klatschenden Männer. Dann sagte Herr Volkmann, ohne dabei, wie es seine Frau getan hatte, einen Schritt vorzutreten, er habe nicht die für solche Ereignisse wünschenswerte blumige Redegabe seiner Frau, die den Gästen für ihr Erscheinen gedankt habe, deshalb begnüge er, sich damit, seiner Frau dafür zu danken, daß sie das Notwendige so schön gesagt habe; dem etwas hinzufügen zu wollen, sei nur erlaubt, wenn man’s noch besser machen könne und das würde er als Ehegatte nicht einmal dann unternehmen, wenn er es vermöchte. Dr. ten Bergen hob die Hand in den Beifall, der den schüchtern schmunzelnden Herrn Volkmann umbrandete. Die Damen hatten ihre Gläser den Herren gereicht, denn jetzt waren sie an der Reihe, Beifall zu spenden. Herr Volkmann selbst dämmte den Beifall und schaffte Ruhe für das, was Dr. ten Bergen sagen wollte. Der begann damit, daß er beteuerte, er sei ein alter Freund des Hauses, mehr hörte Alwin nicht. Er konnte dieser immer in der gleichen NasalMelodie auf und ab singenden Stimme nicht zuhören. Er hörte nur das melodische Geräusch, das sich immer wieder steigerte und wieder verlor; wahrscheinlich waren weder Crescendo noch Decrescendo durch den jeweiligen Inhalt der Rede veranlaßt, sondern lediglich von einem regelmäßig wiederkehrenden Bedürfnis des Redenden, doch noch weiterzureden, auch dann, wenn er in Gefahr war, an der Eintönigkeit seiner Melodie selbst einzuschlafen.
Der hat sich ganz schön entlarvt, dachte Alwin. Zuerst Mordsreden halten gegen das Werbefernsehen, dann durchblicken lassen, daß er, falls man ihn noch einmal zum Intendanten wählen würde, durchaus geneigt sei, das Werbefernsehen mitzumachen, und nachdem man ihn hatte durchfallen lassen (und Alwin schmeichelte sich, daß er daran nicht unbeteiligt gewesen war), hat er sich sogar zum Direktor des neugegründeten Studios für das Werbefernsehen machen lassen. So ist das eben, dachte Alwin, aber man muß vermeiden, daß es so deutlich wird. Früher hat der auf jeder Party seine gefürchteten Reden für die Reinerhaltung der Kultur gehalten, wobei er es immer verstanden hatte, alle Zuhörer spüren zu lassen, daß außer ihm niemand mehr wisse, was die Reinerhaltung unserer Kultur bedeute, wie wichtig sie sei und wie gefährdet. Man hatte ihn reden lassen, hatte halb zugehört und hatte sich gedacht, ihm zuhören zu müssen, sei eine Art Strafe, die man verdient habe, weil man nichts für
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