Eheroman (German Edition)
immer wieder in derselben Scheiße landen, weil sie einfach nicht begreift, wie es hier ist mit den Leuten, wenn sie dableibt. Mann, es ist doch traurig alles!»
«Mit welchen Leuten? Meinst du uns? Du bist doch hier bei uns dabei, Ava, du bist doch auch von uns?»
Ava starrt auf das wachsende Feuer, fest in ihre rosa Kapuzenjacke gehüllt, verkrampft zitternd, denn es ist kalt auf dem Deich.
«Ich geh weg. Ich heirate keinen von hier und füttere keine Schweine und auch keine Gören. Auf gar keinen Fall krieg ich Gören.»
«Keine Kinder? Nie?»
«Nie.»
«Das glaube ich nicht. Du spinnst doch immer nur. Du spinnst ein bisschen wie dein Vater … Sorry. War nicht so gemeint.»
«Ich spinn ein bisschen anders als mein Vater, ich spinn konkret. Ich habe Pläne. Ich sitze nicht rum und nerve andere Leute, wie der. Ist das klar?»
«Schrei doch nicht so!»
«Hättest du doch den Anorak genommen, Ava», ruft die Mutter von der Seite. Sie selbst ist in einen riesigen, auf dem Rücken mit einem silbernen Elefanten bestickten, hellblauen Steppmantel gehüllt. Auf dem fetten Berg von Körper sitzt das liebe Gesicht der Mutter wie ein reifes Früchtchen, von wilden rotbraunen Locken umwachsen.
«Wenn ich die Locken nicht gehabt hätte, dann wär auch alles anders gekommen», sagt die Mutter manchmal wütend, beim Kämmen vor dem Badezimmerspiegel, und meint damit, dass die Locken der einzige Grund gewesen seien, weshalb der Vater sie genommen hat. Ava weiß nicht genau, ob die Mutter das gern hätte, dass alles anders gekommen wäre, oder ob sie nun froh darüber ist, wie es ist. Sie weiß es selbst wohl nicht so genau. Der Vater meint dazu, wichtiger als die Locken wären die Brüste gewesen. Die Mutter ist schon dick gewesen, als sich die beiden kennenlernten. Nur ist sie später, nach Petras und Avas Geburt, noch dicker geworden. Ihre Brüste ebenso, ihre Brüste sind riesige, elastische Berge, für die der Vater sich immer noch begeistern kann. Er vergreift sich manchmal dran, mit seinen schmalen, langen Fingern, wenn die Mutter vor den dampfenden Töpfen steht und die Abluft vibriert und summt, dann schleicht er sich an und greift nach ihren riesigen Dingern. Die Mutter schreit ihn an, lässt aber seine Hände für eine Weile da hocken.
Sabine hat überlegt, dass Avas Vater vielleicht ein bisschen pervers ist, weil er solch ein Vergnügen an so einer fetten Frau hat. Aber Ava meint, es ist nicht pervers, es ist nur speziell. Es ist wie ihr Interesse an ganz alten Menschen. Aber das ist Sabines Meinung nach auch pervers. «Wenn du das pervers nennen willst, dass Leute Interessen haben und sich dafür begeistern können und auch mal was anderes schön finden können als die anderen alle, dann nenn das pervers. Dann bin ich vielleicht stolz, pervers zu sein. Ich bin so stooolz, pervers zu sein!», hatte Ava etwas lauter gesagt und sich ein bisschen in die Sache reingesteigert, weil sie nicht wirklich pervers sein wollte und kein sexuelles Interesse an Greisen haben wollte, wie sie es sich in der Nacht der Garagenparty von Avas Schwager Markus überlegt hatte. Da hatte er sich einen VW Golf gekauft und eine Party in der blitzesauberen gefliesten VW-Golf-Garage gemacht.
Im Nachhinein hat der Vater es trotzdem bereut, dass er sie geheiratet hat, denkt Ava, und die Mutter hat es sicherlich auch bereut, aber sie sagt es nicht, sie würde sich nicht einmal gestatten, so etwas zu denken. Beim Vater ist es was anderes, der tut nichts als denken und grübeln und bereuen. Wahrscheinlich bereut er sogar sich selbst.
«Ich fühl mich nicht ganz wohl hier» ist sein Standardsatz.
«Das sagst du doch immer und wo du auch bist», sagt dann die Mutter, «das interessiert bald keinen mehr.»
«Ich weiß», sagt der Vater darauf und grübelt weiter und lässt die Mutter die ganze Arbeit machen und den Frohsinn verbreiten, für ihn mit.
Jetzt sitzt er abseits auf einem Klapphocker, typisch, nimmt einen Hocker mit zum Osterfeuer und säuft aus einer Flasche den Rotwein, als könnte er nicht stehen wie alle, als wäre er kein Mann. Das sagt die Mutter auch immer, «als wäre er kein Mann. Trinkt roten Wein, als wäre er kein Mann».
«Wäre es dir lieber, er säuft Bier?», hat Ava sie gefragt.
«Ich will mich nicht beklagen», hat sie gesagt, «beklage ich mich über deinen Vater? Er säuft keinen Schnaps wie Jürgen. Das ist mir schon mal viel wert. Und red nicht so über deinen Vater.» Als wäre Ava es, die sich über ihn
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