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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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mich eine Stunde bezahlt», sagt Ava, «ich soll mit Ihnen plaudern, hat sie gesagt. Das haben wir sonst nie, ehrlich gesagt, es ist schon ungewöhnlich. Wir sind ja keine Psychologen.»
    «Gehen Sie ruhig, ich petze nicht. Sie können eine Stunde aufschreiben.»
    «Ich … nein, das kann ich nicht. Das geht leider nicht. Aber wir sollten mit Ihrer Tochter reden, es hat wahrscheinlich keinen Sinn, Sie brauchen niemanden zu Ihrer Pflege.»
    «So ist es.» Er nickt störrisch mit dem Kopf und sieht Ava nicht einmal an.
    Ava bleibt dennoch sitzen. Sie weiß, dass Herr Bodenegg sehr wohl jemanden braucht. Sie ist nur keine Psychologin. Und wenn sie einfach sagt, was sie denkt? Ohne Rücksicht, nur als Mensch, der sich Gedanken macht? Du bist ein Mensch, der sich Gedanken macht, Ava Androsevich. «Ich schätze, Sie sind böse auf sich selbst, weil Sie diese Frau verletzt haben. Ich habe gehört, sie wird nicht mehr laufen können.»
    Herr Bodenegg öffnet den Mund. Seine verletzte Hand schießt fast reflexhaft nach oben, und er verpasst ihr eine Ohrfeige. Es tut nicht besonders weh, weil er mit seiner Verletzung schwach gehauen hat, aber ihr Herz rast, weil er das gewagt hat.
    Sie steht von ihrem Stuhl neben seinem Bett auf. Herr Bodenegg starrt sie an, es pfeift aus seiner Lunge, dann schließt er den Mund wieder und sinkt zurück auf seine aufgeschüttelten fünf Kissen. «Mich wundert gar nichts», sagt Ava. Sie steht ein Stück von seinem Bett entfernt. «So sind Sie nämlich. Sie sind … ein gewalttätiger Mensch! Ein schlechter Mensch sind Sie! Wirklich. Mich wundert gar nichts.»
    Herr Bodenegg starrt ins Leere. «Gehen Sie doch endlich», sagt er. «Zeigen Sie mich an, wenn Sie Lust dazu haben. Mir ist es egal.»
    Ava geht die Treppe von seinem Schlafzimmer hinunter ins Esszimmer, wo die Putzfrau den reinen weißen Teppich saugt. Sie hat bestimmt gelauscht. Da ist sich Ava sicher.
    Als sie draußen zwischen den kahlen schwarzen Bäumen steht, rast immer noch ihr Herz. Eine blasse, kalte Sonne scheint vom graublauen Himmel auf die stille Stadt an der Alster, denn still ist die Stadt hier. Der rauschende Verkehr scheint weit weg. Ein kleines Flugzeug zieht seinen Schaum hinter sich her, und ein nasses, dunkles Blatt segelt von einem Dach herunter. Hier gibt es keine Dosen, keine Scherben und nicht einmal Hundekacke. Hier ist alles sauber, und Putzfrauen saugen und wischen, und die Kühlschränke sind voller Lebensmittel von Feinkost Demir.
    Während sie unentschlossen vor dem Apartmenthaus von Herrn Bodenegg steht, denkt sie, dass es überall gleich ist, wo man auch wohnt, es bleibt schwer. Herr Bodenegg hat eine Frau angefahren, vielleicht hat er bis dahin alles ganz richtig gemacht, vielleicht ist er bis dahin ein untadeliger Mensch gewesen, immer rasiert, und hat immer Geld gespendet, alles an der richtigen Stelle. Nun aber ist es vorbei mit richtig. Nun hat er einmal einen Fehler gemacht, der ihn befleckt, sein ganzes, sauberes Leben. Ist es das, was ihn so wütend macht? Ist es das? Ava spürt den Druck der knochigen, verbundenen Hand auf ihrer Wange. Ist es tatsächlich nur das, was ihn hauptsächlich beschäftigt, dass sein eigenes Leben jetzt besudelt ist?
    Entschlossen klingelt sie noch einmal an der Tür von Herrn Bodenegg. Die asiatische Reinigungsfrau bindet sich gerade die Schürze ab, als Ava eintritt. «Ich habe etwas vergessen», sagt Ava. Sie trabt die ebenfalls mit Teppich ausgelegte Treppe hoch, sie ist sich sicher, dass sie Abdrücke auf dem Teppich hinterlässt, von schwarzer, nasser Erde. Herr Bodenegg sitzt noch so in seinem Bett, wie sie ihn verließ.
    «Ich wollte Ihnen noch sagen», sagt Ava, und ihr Herz rast und rast, «Sie könnten sich auch um die Frau kümmern. Das hätte wenigstens einen Sinn.» Nun will sie wirklich gehen. Bevor wieder etwas geschieht.
    «Halt!», ruft Herr Bodenegg drohend. Sie dreht sich um. Vorsichtig, steif wie ein Holzmännlein, erhebt er sich mit seiner Halskrause von seinem Bett. Kerzengerade seine Haltung, trotz des Rückens, geht er zu einem eleganten, sicherlich sehr wertvollen Sekretär. Er ist ein wirklich schöner älterer Mann, ein schöner und gerader Körper, immer noch sehr blaue Augen, die böse ins Leere starren. Er öffnet die Tischklappe und zieht einen Brief aus einem Schubfächlein heraus. «Bitte», sagt er drohend, «lesen Sie!», und reicht Ava den Brief. Es ist ein Brief, wird ihr schnell klar, den der Vater der angefahrenen Frau an ihn

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