Eheroman (German Edition)
geschrieben hat. Ein Brief voll mit Beschimpfungen, Drohungen und Rechtschreibfehlern, am Ende der Satz: «Ich fahr dich zu Brei, du widerliches altes Schwein, wenn ich dich erwische, dann fahr ich dich zu Brei.»
Ava lässt den Brief in ihrer Hand sinken. «Und?», sagt sie. «Waren Sie bei der Polizei?»
Herr Bodenegg setzt sich wieder auf sein Bett. Er hält sich seine verletzte Hand.
«Tut weh, die Hand? Das tut mir nicht besonders leid.»
Er lächelt für einen winzigen Moment, aber dieser Moment genügt Ava, um ihm zu verzeihen. Sie denkt über sich selbst, dass sie so ist. Sie verzeiht immer allen, weil sie es eigentlich auch will.
«Der Mann hat recht», sagt Herr Bodenegg.
«Hat er nicht. Er hat nicht recht. So etwas darf er nicht schreiben.»
«Ich habe darüber nachgedacht, die Frau zu besuchen, aber sie glaubt, ich bin ein Schwein.» Das «Schwein» stößt er theatralisch hervor, wie ein Schauspieler, als würde er sich selbst beschimpfen. Überhaupt agiert er sehr wie ein Schauspieler aus einer alter Columbofolge. Wieso denkt sie immer solche Sachen, wieso immer diese Vergleiche?
Ava runzelt die Stirn. «Vielleicht glaubt sie das, vielleicht glaubt sie das auch nicht. Sie vermuten nur einfach und sind zu feige, oder was … sich um das zu kümmern. Sie liegen im Bett rum, Sie tun sich leid, und dann schlagen sie auch noch Leute, die sich um Sie kümmern. Sachen passieren manchmal. Aber dann kümmert man sich drum, dann sieht man zu, dass man sich entschuldigt, und nimmt Anteil und gibt Geld, auch wenn es alles sehr unangenehm ist.» Sie legt den Brief auf den Sekretär zurück. «Ich sage Ihnen nur, was ich denke. Das mit der Ohrfeige behalte ich für mich. Da können Sie sich beruhigen. Das hat Ihre Tochter ja alles schön bezahlt und die Lebensberatung auch, einen schönen Tag noch, Herr Bodenegg.»
Dann geht sie wirklich und lässt Herrn Bodenegg sitzen. Hartwig wird sich an die Stirn schlagen und ein paar bösartige Sätze loslassen und sich dann wieder beruhigen. Soll sie über alles immer schweigen?
Draußen schimmert die nebelige weiße Sonne durch die Wolken. Sie schlendert zu ihrem Auto, die Stunde ist noch nicht um, sie kann sich Zeit lassen. Als sie in die Nachbarstraße einbiegt, sieht sie eine ihr bekannte Frau die Straße hochlaufen, eine, die aussieht wie Barbara, nur dass sie ganz andere Haare hat, kurze, rote Haare. Vielleicht sehen hier alle Frauen gleich aus, denkt sie, vielleicht liegt das an der Gegend. Vielleicht aber hat sich Barbara auch das Haar umfrisiert.
«Ich liebe dich», sagt Fadil und drückt seinen großen Kopf an ihren Hals. Draußen wirbeln erste Flocken und tauen sofort auf dem Beton. Der Ausschnitt von Himmel an Fadils Fenster am Kaiser-Friedrich-Ufer ist wie dicke graue Watte. Es ist tagelang schon nicht mehr hell geworden. Merve will am liebsten immer nur fernsehen und jault rum, wenn Ava es ihr verbietet. Danilo sitzt in seinem Zimmer und schreibt oder recherchiert im Internet. Manchmal läuft er auch mit kleinen, harten Schritten durch das Zimmer und telefoniert stundenlang mit Kollegen. Ava fühlt sich ihm gegenüber jetzt besser, weniger aggressiv, weniger im Nachteil und vor allem attraktiver. Sie sieht auch tatsächlich besser aus. Das liegt daran, dass sie sich mehr Mühe gibt. Sie ist bei Maike gewesen, Merves nicht mehr selbstmordgefährdeter Friseurin, und hat sich die Haare schneiden lassen. Aber es ist nicht nur das. Es ist Fadil, der sie schön findet, der sie anruft und sie überrascht und sie mit allem überschüttet, vor allem mit seiner Liebe. Sie muss sich bemühen, nicht dauerhaft zu grinsen. Das Grinsen sitzt in ihrem Gesicht wie ein Krampf. Sie liebt Fadil aber nicht anders als vorher. Sie hat Fadil schon immer auf diese Weise geliebt. Doch es ist nicht das, was er braucht. Mit Danilo ist es damals ganz anders gewesen, mit allen ist es anders gewesen als mit Fadil. Fadil liebt sie auf eine sehr zärtliche und weiche Art. Aber es ist nicht das Richtige. Sie kann nicht Danilo verlassen und mit Sack und Pack zu Fadil gehen, weil es nicht das Richtige ist, das weiß sie.
Fadil steht auf und holt Kaffee aus der Küche. Sie hat bei ihm geschlafen. Danilo ist in Wolfsburg auf einer Vernissage, die Kinder sind bei ihren Eltern, weil Ava arbeiten musste, Wochenendschicht. Deshalb kann sie bei Fadil sein, die ganze Nacht und den ganzen Morgen. Zwischen ihnen hat es diese Fremdheit nicht gegeben, die es zwischen Menschen immer gibt, wenn sie
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