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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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klaustrophobischen Einsamkeit der Massenbewegung, an die notorischen Diebinnen der Bastel- und Nähbewegung und ihre Sucht nach Sinn.
    «Was liest du?», fragt Danilo und beugt sich rüber zu ihr. Sie riecht seinen Atem. Er hat seine Zähne noch nicht geputzt.
    «Das Schwein, das Schaf und die Lampe», sagt Ava und liest.

    Ein Hamburger Kaufmann, der hauptsächlich mit teuren Möbeln aus dem Orient handelte, heiratete eine junge Französin, die Tochter seines Geschäftspartners, der sich in Hamburg niedergelassen hatte, aber ebenso ein Haus in der Provence besaß, wo seine Familie wohnte. Die zwanzig Jahre junge und außergewöhnlich hübsche Französin war anfangs unwillig, einen um zwanzig Jahre älteren deutschen Mann zu heiraten. Da der Mann aber ein gut aussehender Mann war, der eine Frau umschwärmen, sie einladen, ausführen und ihr mit Kleidern und Schmuck den Hof machen konnte, da er der Geschäftspartner ihres Vaters und eine gute Partie war, gab sie schließlich nach und wurde seine Frau. Sie zog mit ihm in ein schönes weißes Haus in Alsternähe und gebar ihm im Jahr darauf eine Tochter.
    Nach der Geburt des Kindes ließ er von ihr ab und richtete sich ein Schlafzimmer im Dach des Hauses ein. Dorthin zog er sich zurück, wenn er allein sein wollte. Später erweiterte er das Alleinsein auf ein Zuzweitsein. Er lud Frauen von der Straße und aus den Kneipen St. Paulis in seine Stube ein und entließ sie ausreichend belohnt am nächsten Morgen auf die Straße zurück. Seine immer noch junge und außerordentlich schöne Frau beschwerte sich anfangs bescheiden, aber er antwortete ihr: «Du, meine Liebe, bist nun Mutter, meine Huren sind jetzt andere. Du solltest dem lieben Gott danken, dass ich dich schone, und deine Anstrengungen dem Haushalt, dem Kinde und deinen Stickereien zuwenden.» Damit waren die Anweisungen gegeben und jeglicher Widerspruch eingedämmt. In der Tat hatte der Herr einen Hang zu ausgefallenen, derben Spielen, die seine Frau nicht mit ihm hätte spielen mögen, seine Frau war eher unerfahren und noch nicht erblüht, sie war reineweg prüde. Deshalb und des guten Rufes willen fügte sie sich.
    Sein Zimmer konnte von der Haustür, über die erste Etage hoch zum Dach über eine schneckenförmig gedrehte Treppe erreicht werden. In mittiger Höhe befand sich auf einem kleinen Tischlein eine marokkanische Messinglampe, die der sanften Erhellung der Treppe diente. Brannte sie aber, dann war der Herr beschäftigt und sein Dach durfte weder vom Dienstpersonal noch von seiner Frau betreten werden. 1936 trat er in die NSDAP ein – seiner Frau erlaubte er keinerlei politische Betätigung – und ließ von einem Handwerker den altmodischen Ölteil aus der Lampe entfernen und eine moderne Glühlampenfassung einbauen. Dazu musste die Lampe auseinandergenommen und umständlich wieder zusammengesetzt werden.
    Die Lampe verbrauchte fast hundert Glühbirnen und brannte einunddreißig Jahre lang. Sie überlebte Adolf Hitler und den Zweiten Weltkrieg, das jüdische Dienstmädchen Sophie und die alte Köchin Helene, die alle das Zeitliche segneten und nicht ersetzt wurden. Sie leuchtete tapfer die Adenauer-Ära ein, die Geburt der Bundesrepublik Deutschland und die Eröffnung des neuen, alten Handelsgeschäftes Orient-Möbel-Hamburg, auf ihre eigene, funzelig trübe Art und Weise.
    Und erst am dritten Tag seines Todes, als ein übler Geruch vom Dach herunterquoll, wagte sich seine mittlerweile einundfünfzig Jahre alte Ehefrau trotz der «Verboten!» leuchtenden marokkanischen Messinglampe in die wollüstige Stube, wo der nackte Ehemann mit verzerrtem Gesicht an einer Hundeleine angekettet auf dem persischen Teppich liegend einsam vor sich hin faulte. Sie ließ ihren Vater rufen, seinen toten Geschäftspartner zu beerdigen. Sie selbst nahm daran nicht teil, und sprach sie einmal doch von ihrem Ehemann, dann nannte sie ihn stets in ihrer Sprache «Le cochon». Sie verzichtete die nächsten Jahre, bis zu ihrem Tode im Sommer 1969, als Kiesinger noch Bundeskanzler war, auf jedweden Umgang mit einem Mann. Sie stickte in ihrer Stube an Bildern mit Schafen und deutschen Wäldern und empfand sich selbst als gut und rein.
    Die marokkanische Messinglampe wurde 1981 von einer nicht näher bezeichneten Frau («Frau mittleren Alters, die in undeutlich geklärtem verwandtschaftlichem Verhältnis zum ehemaligem Eigentümer steht») an einen Fensterputzer verschenkt, der ein nettes Wort für sie übrighatte (für die

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