Eheroman (German Edition)
schüttelt den Kopf. Ava seufzt. Wenn er es nicht erzählen will, dann kann sie nichts machen, dann ist ihre Mission beendet.
«Ist jemand gestorben?», versucht sie es noch einmal.
Fadil schüttelt den Kopf.
«Ist es wegen einer Frau?»
Fadil schüttelt wieder den Kopf.
«Gut, dann …», sie hebt ein wenig theatralisch ihre Hand, «du musst es auch nicht erzählen.» Sie leert ihr Glas in einem einzigen, langen Zug und gießt sich das nächste Glas ein. Der Wein ist nicht so golden wie der von Barbara, wenn man erst mal mit so einem Wein anfängt, dann versaut man sich den anderen, der zu Hause steht, und die Gläser sind von Ikea, und ihres ist angeschlagen.
«Ich will es ja sagen», sagt Fadil, «ich sage es ja. Es ist nur schwer – es ist sogar albern. Es gibt auch gar nichts Richtiges zu sagen. Es kommt mir nur alles manchmal so schlimm vor.» Er spricht langsam und bemüht sich, zu lächeln und nicht zu weinen.
«Was denn?», fragt Ava.
«Alles», sagt Fadil und greift nach seinem Glas und nimmt einen kleinen Schluck, «dass meine Angestellte eine Fehlgeburt hatte, ich wusste gar nicht, dass sie schwanger war, plötzlich hatte sie eine Fehlgeburt und erzählt mir das, und dass mein Vater auf einmal so alt aussieht und manchmal wirklich nicht mehr so kluge Sachen sagt, das macht mich auch fertig, dann die Nachrichten natürlich und auch das Wetter, dass es regnet sogar … lauter solche Sachen, ganz normale Sachen.»
«Dass es regnet?» Ava zieht ihre Beine unter ihren Po und lehnt sich im Sessel an, lehnt ihren Kopf an die weiche Lehne und denkt an den sanften, grauen Regen draußen, der über das Dach läuft, über das Auto, über die Bäume, aber auch über den Penner, der mit einer Isolierdecke zugedeckt heute Morgen auf einer Bank hinten am Kanal lag, zusammengerollt und steif. Der Regen ist hier drinnen gar nicht zu hören, weil die Fenster zu sind, dabei mag sie Regen, sogar im Herbst, vielleicht sogar ganz besonders im Herbst. Die Nachrichten sind eine andere Sache. Die Nachrichten scheinen bedrohlicher seit den Anschlägen am elften September letzten Jahres. Aber dennoch, Avas Leben ging weiter. Der Kaffee am Morgen, der Einkauf von Windeln und Butter, die Wäsche im Trockner, die Müdigkeit, alles ging weiter, und bis jetzt ist noch kein Krieg hier. Aber darum geht es nicht.
«Normale Sachen, die passieren, Ava», redet Fadil weiter, «das normale Leben, das hat mir nie was ausgemacht. Keinem gesunden Menschen macht das was aus. Frau Tschierschke hatte eine Fehlgeburt, und? Was geht mich das an, ich kann die Frau nicht mal leiden, mit ihren hässlichen Fingernägeln.»
Ava zuckt mit den Schultern, denkt an den Regen und an Frau Tschierschke, die vielleicht die Frau hinter der Verkaufstheke war, mit den elend langen, eigentlich aber sehr hübsch manikürten rosa Fingernägeln.
Fadil holt tief Luft und bekommt einen bitteren Zug um die Mundwinkel. «Vielleicht tut sie mir auch gar nicht leid, vielleicht kommt es mir nur so vor, als ob sie mir leidtut, vielleicht weine ich aber eigentlich nicht wegen ihr, sondern wegen mir. Weil ich mir leidtue, weil ich selbst noch nicht mal irgendwie eine Frau mit einer Fehlgeburt habe und gar nichts, und weil ich selbst auch alt werde, so wie mein Vater alt wird, vielleicht noch nicht gleich, aber bald werde ich genauso alt wie er, und ich kann das alles wahrscheinlich nicht aushalten. So wie ihr.»
Ava starrt ihn an und sieht die Türme des World Trade Center einstürzen. Es tut ihr plötzlich leid, dass sie nicht ein bisschen mehr wegen der Sache gelitten hat. Danilo hat gelitten und diskutiert und ferngesehen ohne Ende. Sie hat es gesehen und sich erschrocken und es noch ein paarmal gesehen, zufällig, aber dann ist die Meldung nur eine von vielen Meldungen gewesen, die ihren Alltag nicht berührten. Sie ist erschrocken, weil sie nicht ebenso weint wie Fadil. Sie ist so abgebrüht, wegen des Haushalts und der Arbeit. Sie ist ein Roboter. Sie denkt, ich bin ein Roboter.
«Ich bin sonst aber nie so gewesen», sagt Fadil und verzweifelt ein wenig, «ich bin immer ganz normal gewesen, und nun», Tränen rinnen wieder über seine Wangen, «was nun aus mir geworden ist, Ava, ich bin so unentschieden, jeden Morgen, wenn ich aufstehe, wenn ich mich wasche und irgendwas anziehen muss, werde ich unentschiedener. Ich weiß nicht mal mehr, welche Hose ich anziehen soll. Ich stehe vor dem Schrank und verzweifle – wegen einer Hose! Ich verstehe es nicht, ich
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