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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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verstehe es alles nicht.»
    Ava beugt sich vor und betrachtet konzentriert Fadils Gesicht. Sie denkt, dass sie immer so ist, wenn einer direkt vor Ort Hilfe benötigt, konzentriert und ruhig. Der schöne, laute Fadil schluchzt, geschüttelt von seinem unerklärlichen Unglück. Aber sie meint, dass jeder mit diesen Dingen, mit den Abscheulichkeiten und den Grausamkeiten des Lebens, fertig wird. Sie sind ja alle dafür gemacht, auch Fadil. Sie sagt: «Fadil, du bist jetzt aus der Bahn, das schon, aber ein paar Medikamente können es vielleicht wieder richten, und ein Therapeut möglicherweise? Du bist nicht der Erste, der in diesem Alter ein bisschen durchdreht.»
    Fadil lächelt und reibt sich das Gesicht mit einem riesigen karierten Taschentuch trocken, während die Tränen immer noch laufen. «Ja», sagt er und mehr nicht und steht auf, als wollte er gehen, bleibt aber vor dem Sofa stehen und geht nicht.
    Ava trinkt das zweite Glas leer und schüttet sich ein drittes ein, als wollte sie sich betrinken. Will sie sich betrinken? Sie ist selber anscheinend recht unentschlossen, nur tut sie die Sachen immer ganz schnell, bevor sie sich groß entscheiden muss. Vielleicht ist das ein Trick. Vielleicht ist alles schon entschieden, bevor man sich entscheidet, und die Entscheidung muss nur in sich selbst gefunden werden?
    Merve ruft. Sie steht auf und geht ins Kinderzimmer. Martin liegt mit seinem Zipfel unter dem Kopf und schläft. Merve hockt auf ihrer Decke und murmelt: «Ich kann nicht einschlafen, Mama.»
    «Ich könnte auch nicht einschlafen, wenn ich auf dem Bett hockte.»
    «Ich will aber nicht liegen.»
    «Wenn du nicht liegst, dann kannst du auch nicht schlafen. Leg dich einfach hin, deck dich zu und schließe die Augen. Ich komme in zehn Minuten wieder, und du darfst bis dahin nicht einschlafen, das ist das Spiel.»
    «Das spielst du doch immer», sagt Merve und kriecht unter ihre Decke.
    «Ja, und du solltest auch einmal gewinnen», sagt Ava und zieht die Decke über Merve glatt. Wenn sie in zehn Minuten zurückkehrt, wird Merve schlafen. Das ist sicher und in unzähligen Malen erprobt. Sie kehrt zurück ins Wohnzimmer, der Wein ist in ihrem Körper angelangt, sie fühlt sich warm und geschmeidig, alles, die Müdigkeit und der Wein verwirren gemeinsam ihre Gedanken, und ihre Bewegungen sind weich und langsam geworden.
    Fadil steht am Bücherregal und betrachtet die Rücken der Bücher. Er dreht sich zu Ava, als sie den Raum betritt, sieht sie an und runzelt die Stirn. Er hat sich irgendwie gefangen und seine Tränen abgewischt und sieht fast wieder normal aus. Ava geht zu ihm hin und umarmt ihn, weil er so tapfer da steht und seine Stirn runzelt und einen humoristischen Gesichtsausdruck versucht. Umarmen ist üblich zwischen ihr und Fadil. Fadil legt seine Arme um sie und drückt sie fest an sich. Er streichelt ihren Kopf, er beugt sich zu ihr nieder und küsst sie zärtlich auf den Mund. Zärtlich-auf-den-Mund-Küssen ist nicht üblich zwischen ihnen. Aber sie ist so ausgeleert und so müde und auch angespannt wegen der Sache, ihre ganzen Gefühle waren in den letzten drei Stunden so auf Fadil gerichtet, es fühlt sich fast so an, als ob sie ihn liebt. Sie küsst ihn ein bisschen zurück und umarmt ihn und ist traurig und erleichtert zugleich, über den Trost, der tatsächlich einer zu sein scheint, dass sie gar nicht aufhören kann, ihn zu küssen, als sie erst einmal damit angefangen hat. Sie wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Das ist es, was sie am allermeisten dabei denkt, dass sie kaum noch wusste, wie sich das anfühlt, so gut und so sexuell auch, wie es so wunderbar überschwingt, die Trauer in Erregung.
    Sie sagt: «Ich muss kurz nach Merve sehen, ich habe es versprochen.» Sie schwebt durch den Flur, öffnet leise die Tür zum Kinderzimmer, da liegen sie und atmen tief und gleich, ihre allerliebsten, allerschönsten Kinder, die Liebe überrollt sie von allen Seiten, eine gewaltige Welle, und schlägt über ihr zusammen. Sie taumelt zurück zu Fadil, in seine Arme, in seinen Schmerz und seine Gefühle hinein.
    «Vielleicht», sagt er, und küsst sie und streichelt sie, «wird es nun alles gut.»
    Ja, denkt Ava, sagt es aber nicht, das denkst du dir und glaubst es auch noch.

    Am ersten November beginnt Beate ihren ersten Tag bei «Hartwig Endres Häusliche Pflege» mit einer Platte Hackfleischbrötchen, einer Kanne Kaffee und einem Gläschen Sekt. Alle sind eine Stunde früher gekommen. Frau

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