Eheroman (German Edition)
sieht sie nur an, als wollte er mit seinem Schweigen Avas Worte unterstützen.
«Dann streitet euch nicht», sagt Merve.
«Das tun wir nicht. Wir streiten nicht», sagt Ava und schiebt Merve schließlich zur Tür hinaus. Dann schließt sie die Tür, setzt sich aufrecht im Sofa zurecht und fragt: «Und was noch, Danilo?»
Danilo kneift die Lippen zusammen, und Tränen schießen aus seinen Augen. Er schnaubt noch einmal in sein Taschentuch, sieht sie schließlich direkt an und sagt: «Ava, ich habe etwas Schlimmes getan.»
«Was?», fragt Ava, und Dinge gehen ihr durch den Kopf, so viele Dinge, schlimme Dinge, unglaublich schlimme Dinge, aber nichts erscheint ihr schlimm genug, um derart aus der Fassung zu geraten, wie Danilo es jetzt tut.
«Ich habe eine Frau geküsst», schluchzt Danilo auf, «ich dachte, ich hätte mich in sie verliebt – und dann habe ich sie plötzlich geküsst.»
Ava starrt ihn an. Sie muss an Konstantin denken und an seinen zittrigen alten Arsch. Sie denkt an ihre Lust und an ihren Schmerz, an ihre eigene Gier, und sie sieht Danilo an, wie man ein Kind ansieht, das eine Unartigkeit begangen hat und um Vergebung winselt, mit beschmutztem Mund und ein wenig feige.
«Mehr nicht?», fragt sie schließlich, als er eine Weile vor sich hin geschluchzt hat.
Er reißt die Augen auf, empört, fassungslos, sie grinst böse wie eine Hexe, so kommt es ihr selber vor, sie sieht Danilo in seiner Jämmerlichkeit, in seiner peinlichen Mühe, ehrlich zu sein, anständig zu sein, Rechenschaft abzulegen und sich damit rein zu machen, ihr gegenüber oder vielleicht vielmehr der Welt gegenüber, die sein Leben, sein eigenes Leben bedeutet, aber was ist ihr das alles schon noch?
«Du hast also eine Frau geküsst und bist nun deshalb hier am Heulen, Danilo?», wiederholt sie ihre Frage und fühlt sich kalt und will in seiner albernen Wunde bohren und seine Heiligkeit töten, weil sie selbst keine Heilige ist, weil sie die Schnauze voll hat von seiner beschissenen Heiligkeit. «So sieht also deine Liebe aus, Danilo?», redet sie weiter, weil sie schön dabei wird und frei und weil sie eine Chance in seiner lächerlichen Küsserei sieht, eine Chance auf Reinheit, geschliffen von glasklarer Bosheit. Sie will alles abtragen, die Schicht von Scham, die Schicht von Lüge und die Schicht von Güte, die er auf sie legte und die sie zwang, gut zu sein und Mutter zu sein und ihm eine Frau. Sie grinst immer noch und meint es trotzdem vollkommen ernst, als sie sagt: «Danilo, ich lasse mich von dir scheiden, denn jetzt kann ich dir nicht mehr vertrauen.»
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Epilog
Für April ist es eine ungewöhnlich warme Nacht. Die Erde duftet wie Sommer, obwohl es vor wenigen Tagen noch Frost gegeben hatte, der bis weit in den dunklen Vormittag reichte und später eine feuchte, neblige Schicht über die Tage verteilte. Aber den ganzen Tag heute hatte die Sonne geschienen, die Kinder waren im T-Shirt herumgelaufen, und selbst der Vater hatte seinen Stuhl für ein Stündchen auf die Terrasse gestellt, um die Zeitung zu lesen. Der Vater mit seiner weißen Haut, mit seinen nach unten gesackten Augen, die leicht tränen, wie er oft vor sich hin murmelte, zwischenzeitlich wieder lebendig wurde und seine alten Filme ansah, ins Schwärmen geriet und die gute alte Ava Gardner kommentierte. «Sie wendet sich um wie ein Schwan, es ist vollkommen übertrieben, diese Frau kann überhaupt nicht schauspielen, aber diese Drehung, mein Gott, sie ist eine Königin!» Er gibt dem zwölfjährigen, etwas kleingewachsenen Sohn vom Kneipenwirt Nachhilfe in Englisch. Der Kneipenwirt hat ihn gefragt, der Vater bekommt etwas Geld dafür, und es macht ihm Freude. Die Mummi sagt, der Junge stelle sich ziemlich an, aber der Vater sei sehr geduldig mit ihm und entwerfe lustbetonte Lehrpläne für den Jungen. Es sei im Ganzen gesehen eine unterbezahlte Sache, aber alles, was den Vater aus seiner Lethargie reiße, sei ihr recht. Als Volkshochschullehrer arbeitet er länger schon nicht mehr, und das Geld in der Familie ist knapp. Ava weiß, dass Petra, die wieder einen Job bei der Gemeindeverwaltung gefunden hat, der Mutter manchmal die Einkäufe bezahlt, wenn sie sie ihr mit dem Auto rüberbringt. Ava hat ein schlechtes Gewissen, weil sie der Mutter nicht mit Geld und auch sonst kaum dienlich ist, aber sie hat kein Geld über. Sie muss sehen, wie sie ihr eigenes Leben mit den Kindern bezahlt.
Die Leute um das Feuer herum sind ihr nur noch
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