Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Euch!«
Agnes stand wie üblich, wenn sie wütend war, mit den Händen in die Hüften gestützt da und funkelte Ludolf böse an. Doch der hatte seine Arme trotzig vor der Brust gekreuzt und betrachtete gelangweilt die Schnitzereien an der Decke.
Gerd von Bucken schaute verärgert. »Was war es nun? Mord oder Selbstmord?«
»Selbstmord«, antwortete Ludolf.
»Und warum hat die Frau des Toten nichts in der Art erwähnt?«, schleuderte Agnes ihm an den Kopf.
»Glaubst du wirklich, dass sie uns diesen Hinweis geben würde? Wie die Ratsherren schon gestern festgestellt haben, ist ein ungeklärter Mord besser als ein schändlicher Selbstmord.«
»Schon gut, schon gut!« Der Bürgermeister fuhr dazwischen. »Ich will nichts mehr davon hören. Macht Eure Arbeit, und morgen früh sehen wir uns wieder.«
Damit verließ er eilends das Zimmer und grummelte Unverständliches vor sich hin. Was für ein Theater!
Die drei blieben zurück und blickten sich betroffen an.
»Ich habe aber nur bis Mittag Zeit«, begann Wolfram. »Mein Schwager hat doch Hochzeit.« Und sich an Agnes wendend fügte er hinzu: »Begleitest du mich nun? Wir könnten ein wenig feiern und es uns gutgehen lassen. Und du kannst deinen Ärger für einen Moment vergessen. Na, wie wär’s, meine Liebe?«
Die junge Frau schaute verlegen zur Erde. Sie hatte Ludolfs verblüfftes Gesicht gesehen, als der Hauptmann sie so vertraulich angesprochen hatte. »Danke für das Angebot. Aber eigentlich haben wir keine Zeit dazu, wir haben schließlich einen Auftrag zu erledigen.«
»Ach, was soll’s! Hab’ dich nicht so. Ein halber Tag mehr oder weniger. Der Milchbart ist auch noch da.« Damit zeigte er mit einer Kopfbewegung auf Ludolf.
Ludolf hatte der Unterhaltung voller Abscheu zugehört. So vertraut waren die beiden also schon. Er wollte lieber nicht wissen, wie sie sich gestern ihre Mäuler über ihn zerrissen hatten. Aber nun war das Maß voll.
Der Milchbart
. Dann sollte Agnes doch mit dem Grobian abhauen. Jetzt wusste er wenigstens, was er von ihren Liebesschwüren zu halten hatte. Damit drehte sich Ludolf um und marschierte ohne ein weiteres Wort davon. Sollten die beiden doch sehen, wie sie alleine zurechtkamen. Er hörte noch, wie Agnes seinen Namen rief. Das »heute Mittag am Rathaus« war eigentlich schon zu leise gewesen. Vielleicht hatte er es gehört, vielleicht auch nicht. Das würde er sich im Laufe des Vormittags überlegen.
Ulrich Rehkopf
Mit einem Bauch voller Wut, einem Kopf voller Verwünschungen und einem Herzen voll Eifersucht machte sich Ludolf auf den Weg zum Kontor des toten Händlers. Agnes war für ihn gestorben. Endgültig. Ihn so in aller Öffentlichkeit anzugreifen, hatte das Maß voll gemacht. Er hatte ihr aufbrausendes Temperament, ihre Selbstüberschätzung und ihre Sprunghaftigkeit endgültig satt. Er hatte lange genug Geduld mit ihr gehabt. Wie gerne hätte er sie geheiratet – im letzten Jahr. Aber zum Glück war ja daraus nichts geworden, denn inzwischen hat sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Hexe!
Auf Streit aus stürmte Ludolf ins Kontor. Nach einem kurzen Blick in die Runde schritt er zum hinteren Teil des Raums. Dort stapelte der Kontorsgehilfe gerade einige kleine Kisten.
Ohne Umschweife platzte Ludolf los: »Ist Euch noch etwas eingefallen, was den Bode erschreckt haben könnte?«
Ulrich Rehkopf war völlig überrascht. Betreten schaute er sich um. Aber niemand war in der Nähe, der ihm helfen konnte. Völlig verlegen entschlüpfte ihm nur ein leises »Guten Tag.«
»Also?« Ludolf wurde ungeduldig.
Mit seiner wie üblich matten Stimme antwortete er: »Ich weiß nichts Neues.«
»Na gut. Was anderes: Gestern wolltet oder konntet Ihr mir nicht sagen, wie hoch die Schulden sind. Aber vielleicht wisst Ihr, welchen Wert das Geschäft hat?« Ludolf drehte sich einmal um seine eigene Achse und zeigte auf all die Kisten, Ballen und Säcke. »Der Bestand an Waren, die Verbindlichkeiten und die Forderungen an Kunden und andere Händler – alles zusammen.«
»Ich sagte doch schon, dass ich nicht so tiefe Einblicke habe. Das hat alles der Herr selber gemacht.«
»Aber Ihr könnt doch schätzen?« Der Möllenbecker wurde immer ungeduldiger.
»Wie meint Ihr das?«
Am liebsten würde Ludolf dem Burschen eine knallen für so viel Dämlichkeit. Er rief sich zur Ruhe. Bloß nicht die Fassung verlieren. »Ihr müsst doch sagen können, ob der Laden hier hundert Gulden wert ist oder tausend.«
Nervös kratzte sich Rehkopf am
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