Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
verwitterter Lehmfüllung und einem schiefen Dach –, allerdings war es ein wenig größer als die anderen.
Wolfram klopfte an die Tür.
»Hoffentlich ist so früh schon jemand wach.« Dabei lächelte er Agnes anzüglich an.
Erst nach dem dritten Klopfen rührte sich etwas hinter der Tür. Eine Frau, um die fünfundzwanzig Jahre, öffnete ihnen. Das lange, dunkelbraune Haar hing ihr unordentlich um den Kopf, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Ihr Gesicht war blass, die Augen hatten dunkle Ränder. Sie trug eine ärmellose Bluse, die sie lediglich mit einer Hand zuhielt. Das Kleid hatte auch schon bessere Zeiten gesehen – beinahe die Hälfte der Knöpfe fehlte, und es hatte mehrere Risse und Löcher.
Die Bademagd machte einen gehorsamen Knicks und bat die Besucher ohne weitere Fragen herein. Agnes und Wolfram wurden offensichtlich für Gäste gehalten.
»Bitte folgt mir, werte Herrschaften. Ich lasse sofort das Feuer anfachen. Bitte entschuldigt, dass das Wasser noch nicht angeheizt ist.« Ihre zarte Stimme zitterte ein wenig.
Der Hauptmann winkte ab. Er verlangte den Besitzer des Hauses zu sprechen. Die junge Frau eilte davon. Einen Moment später hörte man eine laute, ärgerliche Stimme aus den hinteren Räumen.
»Wer will was von mir?«, klang es rau und unfreundlich herüber.
Ein etwa vierzigjähriger Mann mit nacktem Oberkörper und kahlgeschorenem Kopf kam herein. Während er sich näherte, knöpfte er gerade noch seine Hosen zu. Agnes schaute peinlich berührt zur Seite. Manche Leute schienen einfach kein Schamgefühl zu besitzen.
»Was is’, junge Frau? Noch nie ’nen Mann beim Anziehn gesehn?« Er lachte schallend.
Agnes antwortete lieber nicht darauf.
»Was kann ich für Euch tun, Hauptmann?«, wandte er sich an Wolfram. »Welchen Grund habt Ihr, mich zu stören? Uta hat mich gerade so gut verwöhnt.« Dabei deutete er auf die Bademagd, die ihnen die Tür geöffnet hatte und nun schüchtern im Hintergrund stand.
»Wir müssen wissen, ob der Zunftmeister von Wiesen vor einer Woche hier war. Am Dienstagabend und in der Nacht auf Mittwoch?«, fragte Wolfram.
»Oh, mein Lieber!« Tobias Dullen klatschte mit den Händen auf seinen nackten Bauch. »Ihr wisst doch, dass das nicht so leicht ist. Ich helfe ja gern, aber …« Dabei verzog er sein Gesicht, als hätte er schlimmes Zahnweh. »Ich muss an meine Kunden denken.«
»Das geht mich einen feuchten Kehricht an.«
»Ihr müsst das so sehen: Meine Kunden suchen hier Entspannung und Ruhe. Sie mögen ein gutes Bad und möchten nicht gestört werden. Das bezieht sich auch auf die Zeit danach. Wenn ich das nicht respektiere, bin ich ruiniert. Mein Ruf ist mein größter Besitz.«
»Ach, stellt Euch nicht so an! Jeder weiß doch, warum Eure Kunden kommen.«
Der Mann grinste breit und näherte sich dem Hauptmann auf wenige Schritte. »Ihr wisst doch am besten, dass ein abgespannter Mann ab und zu Ablenkung braucht. Dann wollt Ihr doch auch nicht gestört werden?«
Wolfram schoss die Röte ins Gesicht. »Dies ist eine offizielle Untersuchung! Ihr seid verpflichtet zu helfen!«
»Da mögt Ihr recht haben. Aber es ist so lange her. So viele waren inzwischen zu Besuch hier. Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern.« Er setzte sein unschuldigstes Lächeln auf.
»Das ist eine Lüge!«
Dullen grinste frech. »Möglich. Aber wie wollt Ihr das beweisen?«
»Ich werde Euch zwingen! Ich werde Euch einsperren!«
»Vergesst dabei aber nicht, dass ich einige bekannte Persönlichkeiten aus dem Domkapitel und dem Stadtrat zu meinen Kunden zähle. Denen wird es gar nicht gefallen, wenn sie hier vor verschlossenen Türen stehen. Der Drang, weswegen die hier sind, ist stärker als Kerkermauern.«
Wolfram von Lübbecke knirschte mit den Zähnen. Er wusste nur zu gut, dass Dullens Einschätzung zutraf. Hinter vorgehaltener Hand wurden die Herrschaften genannt, die hier ein- und ausgingen. Deren Unterstützung durfte er als Hauptmann der Stadtwache nicht aufs Spiel setzen.
Der Besitzer des Badehauses schaute auf Agnes und blinzelte zu ihr hinüber. Dann wandte er sich wieder an Wolfram: »Wie ich sehe, habt Ihr im Moment ja kein Bedürfnis, Euch hier zu entspannen.«
Wolfram ballte die Fäuste, sagte aber nichts.
»Noch Fragen? Ich habe jedenfalls noch etwas zu tun. Man führt Euch hinaus.« Damit drehte er sich um, ohne eine Antwort abzuwarten, und gab der Bademagd einen Wink. »Schwing die Hacken! Und dann kommste sofort wieder zu mir.« Zufrieden
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