Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
traute dem Lagerverwalter eher über den Weg als dem Kontorsgehilfen. Hatte sich Rehkopf so sehr verschätzt? Warum versuchte er dauernd, sich auf seine Unwissenheit zu berufen? Für ihn war es doch, wie Bernhardt ja nun auch bestätigt hatte, ein Leichtes, anhand der Bücher den genauen Wert zu bestimmen. Irgendwas war da faul.
»Könntet Ihr Euch vorstellen, dass Rehkopf irgendeine Mauschelei vorhatte?«
»Da fragt Ihr aber was!« Er lachte. »Zutraun würd ich’s ihm, aber ich wüsste nich was.«
»Keine Meinung?«
Der Lagerverwalter verzog sein Gesicht und grübelte. »Na, so’n Gedanken hab ich da schon. Der Lump hat da was unterschlagen und damit’s nich auffällt, macht er alles billiger.«
»Wenn hier etwas abhanden kommt, wäre es Euch doch aufgefallen?«
Bernhard überlegte einen Moment »Ja, schon. Ich hab das Lager ja im Blick. Aber wenn er nur in den Büchern da was rumschmiert?«
»Bei mehreren hundert Gulden hätte wenigstens der Händler was merken müssen«, wandte Ludolf ein.
»Stimmt schon.« Und wieder kratzte er sich am Kopf. »Ne. Dann weiß ich nix mehr.«
»Trotzdem habt Ihr mir sehr weitergeholfen. Wenn ich Euch einen Gefallen tun soll, sagt Bescheid.«
Bernhard lachte los. »Geht klar. Dann schickt mir doch mal Rehkopfs Schwester vorbei.«
Ludolf schaute ein wenig überrascht. »Wieso das denn?«
»Oha!« Dabei rieb sich der Lagerverwalter die Hände. »Das ist ein kesses Frauenzimmer. Mit der möchte ich auch gern mal los. Die hat alles, was sich ein Mann so wünscht. Wenn Ihr versteht, was ich meine.« Dabei zwinkerte er vielsagend und zeichnete mit den Händen eine üppige Figur in die Luft.
»Habt Ihr sie denn schon mal angesprochen?«
»Ach was! Die steht doch nur auf was mit Geld. Alle paar Wochen hängt se ’nem anderen am Arm. In den vier Wochen vor dem Tod des Herrn war se fast täglich hier, um ihr’n Bruder dies oder das zu bringen. Und tat immer so nett und höflich zum Händler. Sie suchte wohl wieder einen Neuen.«
Ludolf war überrascht. Seine Freunde, die Handwerksmeister, hatten ihm eine Liebelei doch gar nicht zugetraut. Und auch Bernhardt hatte eine Liebschaft Bodes gestern noch verneint.
»Und wie reagierte Bode?«, hakte der Möllenbecker nach.
»Der ließ sie einfach stehen, wie ’ne dumme Gans. Hätte seine Frau was andres gesehen, hätt’s wieder mal Zank gegeben.« Bernhardt lachte vergnügt.
Ludolf bedankte sich noch einmal für die wichtigen Informationen und bat den Lagerverwalter, anderen gegenüber nichts von dem Gespräch zu erwähnen.
»Gibt es noch einen weiteren Weg hier vom Grundstück herunter?«, fragte Ludolf zum Schluss. »Ich möchte weder von Rehkopf noch von der Witwe gesehen werden.«
»Sicher. Ich führ Euch zu einer kleinen Pforte an der rückseitigen Mauer. Da könnt Ihr durch, ohne dass es einer merkt.«
Hinter dem Bierfass
Wolfram und Agnes gingen vom Badehaus kommend an der Stadtmauer entlang in Richtung Weser. Ihr Weg führte sie parallel zur Straße der Bäcker am Johannisstift entlang. Dann gelangten sie in den wohl ältesten Teil Mindens, die Fischerstadt. Diese Siedlung gab es schon, als Karl der Große vor über fünfhundert Jahren hier in Minden auf seinen Kriegszügen gegen die Sachsen mehrmals Halt gemacht hatte. Erst durch die Gründung der Bischofsresidenz 14 wuchs das neue, größere Stadtviertel zum jetzigen Zentrum heran. Wo nun der Dom stand, hatte es wohl früher eine Befestigung der Sachsen gegeben, deren Herzog Wittekind sich dem König Karl letztendlich unterwerfen musste. So hatten sich die Christen gegenüber den Heiden auch an der Weser durchgesetzt. Doch die neue Religion war nur ein Deckmantel für blutrünstige Eroberungen und brutale Machtausweitung gewesen. Denn was hatte das Führen des Schwertes mit christlicher Nächstenliebe zu tun?
Sehr viele kleine, ältere Fachwerkhäuser standen hier in der Fischerstadt. Ganz am Ende des Stadtteils, nahe dem Brühltor, stand ein einstöckiges, verwahrlostes Gebäude mit einem durchhängenden Dach. Über der Tür hing ein kleines, halbverwittertes Fässchen. Das war also die Schänke
Zum großen Bierfass
. Welch eine Ironie!
»Und in einem Haus dahinter finden wir dann wohl die Ingrid«, stellte Agnes fest. »Suchen wir sie.«
Wolfram nickte. Er schaute sich um, blieb aber unschlüssig stehen. Ihm war es offensichtlich unangenehm, hier zu sein.
»Ist etwas?«
»Nein, nein. Lass mich am besten voran.«
Sie nahmen den schmalen Gang zwischen
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