Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
beschmutztes Tuch würde er dankend ablehnen.
Ludolf stand in der Brüderstraße und suchte das Haus, in dem der ehemalige Kontorsgehilfe des Händlers Bode wohnte. Eines der letzten auf der rechten Seite sollte es sein. Er fragte ein paar Kinder, die in der Straße spielten. Sie zeigten ihm die Tür der Familie Schüttauf.
Kurz nach seinem Klopfen öffnete eine füllige Frau mittleren Alters. Sie trug ein kleines Kind auf dem Arm, das ihr das Kleid vollspuckte, und ein zweites klammerte sich daumenlutschend an ihren Rockzipfel. Offensichtlich war sie über die Störung ungehalten, denn statt einer Begrüßung kam nur: »Was wollt Ihr?«
Ludolf erklärte, dass er im Auftrag des Rats komme und mit Hans Thomsen sprechen wolle.
»Ja, ja, ist in Ordnung. Die Stiege hier rauf. Da oben sitzt mein Vater in seinem Sessel. Seit dem Tod von Bode kommt er nich mehr runter. Vielleicht könnt Ihr ihn ja aufscheuchen.«
Ohne ein weiteres Wort machte sie den Eingang frei und verschwand mit ihren Kindern durch eine weitere Tür. Ludolf stieg die kleine, steile Treppe hoch. Für einen älteren Menschen mit Gicht oder Rheuma in den Knochen war dieser Weg eine Qual. Aber auch die Tochter hatte bei ihrer Körperfülle hier sicher ihre Probleme. Wie bekam der Mann seine Mahlzeiten, wenn er nach dem Tod des Händlers nicht mehr herunterkam?
Als Ludolf oben angekommen war, stand er schon mitten in einer kleinen Stube. Mitten im Raum war ein Ofen, seitlich am Fenster ein Tisch mit einem Stuhl und einem Sessel. Dort saß ein etwa siebzigjähriger, weißhaariger Mann mit geschlossenen Augen. Sein Kopf war zur Seite gerutscht und lag jetzt unbequem an der Lehne. Ludolf musste sehr genau hinhören, bis er die leisen Atemzüge bemerkte. Beinahe hatte er geglaubt, einen Toten vor sich zu haben. Verhungert, weil ihm seine Tochter kein Essen bringen konnte.
Ludolf räusperte sich, um den alten Mann vorsichtig zu wecken. Nach einem zweiten, lauteren Versuch öffnete Hans Thomsen schließlich die Augen.
»Ja, bitte?« Seine Stimme klang verschlafen und matt.
Ludolf entschuldigte sich für die Störung und erklärte kurz, wer er war und in wessen Auftrag er kam.
»Das ist gut, junger Freund«, sagte der Alte und bat Ludolf, sich zu setzen. »Hoffentlich bekommt Ihr bald heraus, wer ihn umgebracht hat.«
»Ihr denkt, es war Mord?«
»Natürlich! Was denn sonst? So ein gefestigter Mann begeht keinen Selbstmord. Er nahm immer Rücksicht auf andere. Niemals hat er jemandem geschadet. Wie kann so jemand solche Gewissensbisse haben, dass er sich das Leben nimmt?«
»Aber im Speicher fand ich Hinweise, dass er sich selbst getötet hat.«
»Dann wurden die Hinweise gefälscht!« Der ehemalige Kontorsgehilfe war bei den letzten Worten ärgerlich geworden. »Das ist meine Meinung. Etwas anderes kommt für mich nicht in Frage!«
Ludolf wollte den Mann nicht beleidigen, schließlich erhoffte er sich von ihm seine Mithilfe. Aber wie konnte er ihn vom Gegenteil überzeugen?
Dann begann Thomsen in leisem Ton zu erzählen. Er klang sehr nachdenklich und wehmütig. Der Händler war zwei Tage vor seinem Tod noch bei ihm gewesen. Sie hatten lange miteinander gesprochen. Der ältere Mann war noch immer an den Geschäften interessiert. Ab und zu hatte er deshalb auch in Kontor und Lager vorbeigeschaut. Der Handel der Familie Bode war sein Leben. Er kannte noch den Großvater des jetzt verstorbenen Händlers. Anno 1321 hatte Thomsen als Lehrling im Kontor begonnen. Damals war er neun Jahre alt gewesen. Die Händler hatten seinen treuen Dienst geschätzt und ihm deshalb eine Rente hinterlassen, damit er auch im Alter versorgt war.
Nach einer Zeit des Schweigens fragte der alte Kontorsgehilfe: »Und Ihr denkt wirklich, es war Selbstmord?«
Ludolf nickte.
»Und Ihr irrt Euch auch nicht?«
»Ich bin davon überzeugt.«
Der alte Mann schwieg daraufhin. Gedankenverloren schaute er zum Fenster.
Ludolf wusste nicht, wie er fortfahren sollte. Er wollte Thomsen nicht unnötig erschrecken oder aufregen. Vorsichtig fragte er: »Was ist, wenn der Händler Bode durch List und Trug in den Selbstmord getrieben wurde?«
Der ehemalige Kontorsgehilfe wandte sich seinem Besuch wieder zu. »Tja. Dann ist es eigentlich doch Mord. Wenn auch von eigener Hand ausgeführt.«
»Da habt Ihr vollkommen recht.«
Zufrieden lehnte sich Hans Thomsen in seinem Sessel zurück und schloss die Augen.
Ludolf kam nun zu seinem eigentlichen Anliegen. »Habt Ihr eine Vorstellung davon,
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