Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hat, bekommt Ärger.«
Agnes versuchte sie zu beruhigen. »Wir werden dem Besitzer des Badehauses bestimmt nichts verraten.«
Verlegen zupfte Ingrid an ihrem Blusenärmel. »Wirklich nicht?«
»Versprochen.«
»Gut.« Sie schniefte kurz und holte dann tief Luft. »Gabriel kam nach Schluss noch zu mir. Er blieb bis in die Morgenstunden. Kurz vor der Dämmerung ging er wieder.«
Agnes schaute zu Wolfram hinüber. Zur Bestätigung nickte er nur kurz. Nun war endgültig sicher, dass von Wiesen nicht der Mörder von Bode sein konnte. Damit hatte sich der Verdacht nun wirklich in Wohlgefallen aufgelöst. Der Hauptmann der Stadtwache drehte sich um und marschierte grimmig hinüber zur Stadtmauer, schlug einmal voller Wut gegen die Steine und schlurfte wieder zurück.
Die Nonne musste auch erst einmal tief Luft holen, um ihre Enttäuschung zu verdauen. Sie blickte auf die gehetzt um sich schauende Ingrid. Was hatte diese Frau nicht schon alles erleiden müssen! Wie lange noch? Doch da fiel Agnes ein, was die andere Bademagd vorhin gesagt hatte. »Und Euer Bruder will Euch freikaufen?«
Ingrid zuckte zusammen. »Woher wisst Ihr das?« Sie klang plötzlich sehr heiser.
»Wir wissen es halt. Woher ist gleichgültig. Was könnt Ihr uns noch dazu sagen?«
Die Bademagd nagte schon wieder an einem Fingernagel. Nach den Stummeln zu urteilen, tat sie das öfter. »Ich weiß nix Genaues. Nur, dass ich bald frei sein werde. Mein Bruder Wilken kam vor zwei Wochen und sagte, dass er eine Möglichkeit gefunden habe, mich freizukaufen. Vor einer Woche am Montag erzählte er, dass er sich mit meinem Besitzer geeinigt hätte. Seitdem warte ich auf meine Freiheit.«
»Was werdet Ihr dann tun? Geht Ihr zu Eurem Bruder?«
Jetzt huschte sogar ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. »Ich werde einen Bauern aus der Nähe von Bückeburg heiraten, einen Witwer. Thomas heißt er. Er ist schon etwas älter, aber ein lieber, netter Mensch. Ich kenne ihn durch seine Besuche hier im Badehaus. Er weiß um meine Situation und will mich trotzdem, auch meine Kinder. Und in Bückeburg werde ich dann keine Dirne mehr sein, sondern eine Witwe, die wieder heiratet.« Ihre Augen strahlten vor Glück.
»Das freut mich für Euch. Wie kamt Ihr denn in diese schlimme Lage?«
Ingrid schaute peinlich berührt zur Erde. Sehr leise begann sie, zu erzählen. »Als fünfzehnjähriges Mädchen schickten mich meine Eltern von Bückeburg nach Minden, damit ich als Magd arbeitete. Doch dann wurde ich krank. Die Pflege und die Arzneien konnten weder ich noch meine Familie bezahlen. Aber mein Bruder kam und fand jemanden, der die Rechnung übernahm. Aber als Gegenleistung sollte ich ein Jahr lang im Badehaus helfen. Mein Bruder wusste damals noch nicht, was das Badehaus war. Ich merkte es jedoch allzu schnell. Ich wurde so lange geschlagen, bis ich schließlich nachgab. Als das Jahr rum war, sagte mir der Herr Dullen, ich hätte nicht gut genug gearbeitet und müsste noch eins bleiben. Und das immer wieder, Jahr für Jahr. So bin ich seit sechs Jahren im Badehaus. Aber nun hoffe ich jeden Tag, dass dieser der letzte ist.«
Agnes war erschüttert. Wie leicht doch jemand ganz unschuldig in diese unsagbar tragische Situation kommen konnte. Von wegen
selbst schuld
, wie Wolfarm das gesagt hatte. Gegen eine schlimme Krankheit konnte man nichts tun. Unvorhergesehenes konnte jeden treffen. Besonders schlimm an Ingrids Geschichte war aber, dass die Herrschaften ihrer Magd nicht geholfen hatten. Wo blieb da die Nächstenliebe? Woher die beiden Kinder kamen, konnte sich Agnes nun auch vorstellen. Wahrscheinlich konnte Ingrid noch nicht einmal sagen, welcher der verschiedenen Kunden der Vater war.
»Wem seid Ihr denn verschuldet?«, fragte Agnes weiter.
»Das weiß ich nicht, das durfte Wilken nicht sagen. Das gehört zu der Abmachung von vor sechs Jahren.«
»Und welche Rolle spielt Dullen dabei?«
»Er ist der Verwalter des unbekannten Besitzers. Er passt auf, dass wir genug verdienen.«
»Wie viel hat Euer Bruder für Euch noch zu zahlen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ursprünglich war die Schuld fünfundachtzig Schilling.«
»Gut, wenn Euer Bruder das zusammengespart hat.«
»Nein, nein.« Die Bademagd hob abwehrend die Hände. »Wilken wird kein Geld zahlen, sondern muss etwas für den Gläubiger erledigen.«
»Und was?«
Ingrid zögerte einen Moment. Ihr Gesicht nahm wieder einen ängstlichen Ausdruck an. »Er sagte nur, dass er so was…« Sie stockte.
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