Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dunklen Haare aus dem Gesicht. »Ich habe es eilig. Ich muss weiter.« Wieder blickte sie vorsichtig zum Badehaus.
»Kommt hier um die Ecke!«, forderte Agnes sie auf. »Hier kann Dullen nicht sehen, wenn Ihr mit uns redet.«
Uta nickte und kam herüber. »Bitte versteht. Ich werde erwartet. Ich kann nicht lange mit Euch sprechen.« Ihre gehetzten Augen baten flehentlich um Hilfe.
»Was habt Ihr mit dem Zettel gemeint?«
»Hoffentlich sieht mich keiner! Sonst bekomme ich Ärger.« Sie zitterte am ganzen Körper.
»Wir werden bestimmt nichts verraten«, versicherte Agnes. »Was ist mit Ingrid?«
Die Bademagd schaute sich noch einmal vorsichtig um. »Sie wohnt im Nachbarzimmer hinter der Schänke.«
»Wir waren dort. Aber in dem Zimmer, das uns gezeigt worden war, trafen wir nur eine Anneke.«
»Blondes Haar und groß?«
Agnes bejahte.
Uta lächelte. »Ingrid ist sehr vorsichtig. Weil Ihr fremd seid, hat sie Euch einen falschen Namen gesagt. Mal nennt sie sich Anneke, mal Mette. Sie nimmt Freier nur, wenn sie unbedingt muss. Und vor allen Dingen nie vor ihren Kindern.«
Die Möllenbeckerin nickte verständnisvoll. »Arbeitet sie auch im Badehaus?«
»Ja. Wer noch jung genug ist und ansehnlich dazu, darf dort arbeiten. Dorthin kommen hauptsächlich die älteren und reicheren Männer. Von denen wird man seltener schlecht behandelt. Die anderen Frauen müssen auf die Straße oder im Hinterzimmer der Schänke auf Kundschaft warten.«
Agnes atmete tief durch. Welch ein Elend! »Kennt Ihr Gabriel von Wiesen?«
»Ja, er kommt oft abends ins Badehaus – ein knauseriger Kerl. Er will immer nur Ingrid. Er kam übrigens auch an dem Abend, nach dem Ihr vorhin fragtet.«
»Warum könnt Ihr Euch so genau an den Tag erinnern?«
»Ich hatte keinen Kunden mehr und durfte schon nach Hause. Ingrid musste sich aber noch um den Wiesen kümmern. Und irgendwann kurz vor Mitternacht kamen die beiden. Ingrid brachte ihre Kinder noch zu mir rüber. Das macht mir nichts aus, ich mag die Kleinen. Und die müssen nicht mitbekommen, was ihre Mutter tut.«
»Wann ist von Wiesen wieder gegangen?«
»Irgendwann am Morgen hat Ingrid ihre Kinder wieder bei mir abgeholt. Da muss’r wohl gerade weg gewesen sein.«
Wolfram trat außer sich vor Zorn gegen einen Stein, der im hohen Bogen über die Straße bis an die Stadtmauer flog. Er fluchte und schimpfte aufs Übelste.
Uta war ganz erschrocken. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, nein. Es ist nicht Eure Schuld«, versuchte Agnes, sie zu beruhigen, war aber selbst verärgert. Schließlich war damit gerade der einzige Verdächtige, den sie bisher hatten, entlastet worden. So ein Heuchler und Hurenbock wurde durch eine Buhlerin vor dem Galgen gerettet. Das musste man sich einmal vorstellen! Durch eine Dirne! Verkehrte Welt!
Agnes musste sich zusammenreißen. »Seid Ihr sicher, dass der von Wiesen erst am Morgen wieder ging?«
Die Bademagd zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht genau, ich nehme es nur an. Früher hat Ingrid ihre Kinder immer gleich geholt.«
»Was heißt früher?«
»Na ja«, die Bademagd stockte ein wenig. »Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte.«
»Nun mach schon endlich!«, forderte Wolfram sie ungeduldig auf. »Jetzt kannste auch den Rest erzählen.«
»Ingrid redet seit zwei Wochen davon, dass sie bald wegkann. Ihr Bruder bekäme viel Geld, sagt sie. Er würde sie dann freikaufen. Sie ist seitdem wie ausgewechselt, so aufgekratzt. Ich habe Angst, sie könnte enttäuscht werden.«
Agnes ist erstaunt: »Freikaufen? Ist sie eine Leibeigene?«
Uta schaute verwirrt, als wäre sie nach einer Selbstverständlichkeit gefragt worden. »Sie muss ihre Schulden abarbeiten – genauso wie ich. Aber falls dich kein Freier freikauft, hast du nie die Möglichkeit, hier herauszukommen. Denn wenn du wieder schwanger wirst, will dich keiner mehr haben. Also bringst du nix ein, und deine Schulden werden noch höher.«
Agnes mochte sich gar nicht ausmalen, was diese jungen Frauen erleiden mussten. »Wem ist Ingrid denn verschuldet?«
»Das weiß ich nicht. Fragt sie besser selbst.«
»Dann besuchen wir sie halt noch einmal.«
Uta machte ein verzweifeltes Gesicht. »Besser Ihr sprecht mit ihr woanders. Im Badehaus oder hinterm
Bierfass
ist es zu gefährlich. Die Wände dort haben zu viele Ohren.«
»Ah!« Agnes wurde jetzt so manches klarer. »Wo könnten wir denn sonst mit ihr sprechen?«
»Wartet doch hier. Ab Mittag muss sie wieder im Badehaus
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