Ehre sei dem Vater (German Edition)
unglaublich gut, seine Erleichterung über
ihre Anwesenheit zu spüren. Anfänglich hatte sie noch versucht, ihn über seine
Träume auszufragen, doch das hatte sie mit den Jahren längst aufgegeben.
Entweder behauptete er, nicht zu wissen, was nachts in ihm vorging, oder er tat
es mit Verharmlosungen ab. Franz war noch nie sehr redselig gewesen. Schon als
sie sich frisch kennen gelernt hatten, saßen sich die beiden oft stundenlang
schweigsam gegenüber. Damals hatte Anna geglaubt, in der Stille die zarten
Schwingungen der Liebe zu spüren. Er hatte ihr in all den gemeinsamen Jahren
nicht einmal mit Worten zu verstehen
gegeben, dass sie wichtig für ihn wäre, geschweige denn, dass er sie lieben
würde. Trotzdem bildete sie sich manchmal auch heute noch ein, dass ihr Mann
sie, auf seine ganz spezielle Weise, doch sehr gern hatte, auch wenn er ihr
nach außen hin weiß Gott nicht viele Anlässe für diese Vermutungen gab. „Ich
wüsste zu gern, was mit ihm los ist?“ ging es ihr wieder einmal durch den Kopf,
während sie den kleinen emaillierten Topf mit kaltem Wasser auf die Herdplatte
stellte. Nachdem er im Schlaf immer wieder nach seinem Vater rief, lag die
Vermutung nahe, dass sich die Träume um seine Kindheit drehten. „Der frühe
Verlust seines Vaters musste ein schlimmer Schock für ihn gewesen sein“, dachte
sie. Da sie selbst sehr früh einen Elternteil verloren hatte, konnte Anna
seinen Schmerz gut nachempfinden. Auch sie hatte sehr lange gebraucht, die
Tatsache, eine Halbwaise zu sein, annehmen zu können. Selbst nach beinahe 55
Jahren spürte sie noch ein Ziehen in der Magengegend, wenn sie auf die ersten
Jahre ohne Mutter zurückdachte. Aber sie hatte ihre Gefühle nie versteckt,
hatte sich nie für ihre Verzweiflung geschämt. Auch wenn sie keine großen
Erfahrungen in der Psychologie vorweisen konnte, schien ihr seine
Verschlossenheit eine logische Erklärung für die Albträume zu sein.
Das Wasser köchelte bereits, doch Anna
starrte weiter gedankenverloren vor sich hin. Sie fragte sich, was sie an
diesem Mann so besonders fasziniert hatte und warum sie auch heute noch
geduldig all seine Launen ertrug. Einerseits gehörte sie natürlich einer
Generation an, die nicht bei geringen Anlässen gleich ans Aufgeben dachte,
anderseits hatte er sich tatsächlich schon Dinge geleistet, die wohl kaum eine
andere Frau einfach so hingenommen hätte.
Kurz nach Julians Übersiedlung nach Graz war
Franz in einer noch schlimmeren Verfassung als jemals zuvor oder danach. Er
verschloss sich mehr als sonst und ließ nicht einmal seinen Enkel Harald, von
dem sie wusste, dass ihr Mann ihn von der gesamten Familie am meisten liebte,
an sich heran.
Sie sah es vor sich, als wäre es erst gestern
gewesen, als sie ihn beim Kofferpacken überrascht hatte. „Wo willst du denn
hin?“, hatte sie ihn ungläubig gefragt. Schon vor seinem bedauerlichen Unfall
hatte er niemals ohne Vorwarnung eine Reise vorbereitet und nun, da er nicht
einmal mehr an den Wochenendausflügen der Feuerwehr teilnahm, auf die er sich früher
immer besonders gefreut hatte, war die Sache noch viel verwunderlicher.
„Ich hätte dir bestimmt noch früh genug
Bescheid gegeben! Aber bitte sehr, da du mir so gerne hinterher schnüffelst,
erfährst du es eben auf diese Weise. Ich habe für einige Tage auswärts zu tun.
Frag mich nicht wo oder warum und wieso. Es geht um eine Sache, über die ich
nicht sprechen möchte.“ Der ruppige Tonfall, der keinen Widerspruch zuzulassen
schien, hatte Anna in Rage gebracht.
„Was heißt hier auswärts und worüber kannst du mit mir nicht sprechen? Ich bin
deine Frau, vergiss das nicht. Ich habe schließlich ein Recht darauf zu wissen,
wo sich mein Mann aufhält!“ entgegnete sie in ungewohnt energischem Ton.
„Bitte löchere mich nicht mit dummen Fragen. Du
würdest meine Erklärung ohnehin nicht verstehen“, antwortete Franz während er
ein weiteres Hemd in den kleinen Koffer packte. Ohne sich bei seiner Tätigkeit
stören zu lassen und ohne ihr in die Augen zu sehen, schloss er scheinbar emotionslos
seine kurzen Rede:“ Ich bin spätestens in einer Woche wieder zurück“.
Anna hatte resigniert. Sie hatte sich trotz des
kurzen Aufflammens von Protest wieder einmal nicht gegen ihren Mann durchsetzen
können.
„Soll er doch verschwinden!“ Sie hatte vorläufig
genug von ihm und bereute, dass sie sich nie genug Zeit genommen hatte, alte
Freundschaften zu pflegen. Wie tröstend wäre es gewesen, sich an
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