Ehre sei dem Vater (German Edition)
rang. Sie machte eine
Gradwanderung durch. Zum Einen wollte sie auf keinen Fall, dass ihr Bruder
schlecht über ihren zukünftigen Lebenspartner sprach und zum Zweiten hatte sie
das Gefühl, David in seinem labilen seelischen Zustand noch nicht allzu sehr
mit ihrem Gemecker belasten zu können. „Komm einfach
wieder runter!“, dachte sie ungeduldig bei sich selbst. „Er weiß nicht, wer
mein Traumtyp ist und er hat selbst genug Sorgen.“
Laut sagte sie nur: „Vergessen wir das Ganze. Ich räum im Bad auf und du
versuchst in Zukunft etwas sparsamer im Verbrauch von frischer Wäsche umzugehen.
Okay?“
„Geht klar“, erwiderte David kurz angebunden,
um sich gleichzeitig mit trägen, schleppenden Schritten wieder in sein Zimmer
zurückzuziehen und die Musik noch eine Spur lauter zu drehen.
Der Zustand, in dem David sich nun schon seit
einigen Tagen befand, machte Eva Kopfzerbrechen, obwohl sie schon seit
Ewigkeiten daran gewöhnt war, sich mit den Problemen ihres Bruders auseinander
zu setzen. „Den meisten Kummer hätte es gar nicht gegeben, wenn unsere Mutter
jemals nur ein kleines bisschen Rückgrad gezeigt
hätte…….“, murmelte sie trübsinnig vor sich hin, während sie die Zeit gedanklich
um mehr als 20 Jahre zurückspulte.
Nach dem plötzlichen Unfalltod ihres Vaters
hatte die unbeschwerte Kindheit für Eva jäh geendet. David war mit seinen zwei
Monaten noch zu jung, um den Verlust des Vaters bewusst wahrzunehmen. Die zuvor
normale, rundherum glückliche Familie war ins Chaos gestürzt, aus dem sie sich
nie mehr wieder befreien konnte.
Ihre Mutter schien das unglückselige Ereignis
am schlimmsten getroffen zu haben. So sagten zumindest alle Verwandten und
Bekannten, um die negativen Veränderungen an ihr zu entschuldigen. Obwohl Eva
ganz sicher war, dass sie selbst am meisten gelitten hatte, weil niemand ihren
Vater auch nur annähernd so geliebt haben könnte, wie sie selbst. Aber ihre
Mutter war beinahe nicht wieder zu erkennen. Sie war plötzlich nur mehr kalt,
unzugänglich und hart. In der Familie wurde nichts mehr unternommen. Keines der
Kinder erhielt die Aufmerksamkeit, die ihm gebührte.
Als Eva nun am Rand der Badewanne saß, zogen die
Erinnerungen von längst vergangenen Tagen an ihr vorbei und ließen die
Nackenhaare in ungleichmäßigen Abständen immer wieder zu Berge stehen.
Sie sah ihre Mutter: Hertha Sandtner saß am penibel aufgeräumten Schreibtisch im
Arbeitszimmer ihres verstorbenen Mannes und starrte vor sich hin. Jeder
Kugelschreiber und jedes Blatt Papier befand sich noch genau dort, wo es Evas
Vater, ein sehr ordnungsliebender Mensch, hingelegt hatte. Der inzwischen zweijährige,
damals noch blond gelockte David, war seiner Mutter gefolgt. Die Regalfront
schräg gegenüber dem Schreibtisch war in hellem Holz gehalten, wobei der obere
Teil, etwa ab Hüfthöhe eines erwachsenen Menschen,
mit einigen prall gefüllten Ordnern und mit jeder Menge Fachbüchern voll geschlichtet
war. Der untere Teil war gleichmäßig in geschlossene Kasten- und Ladenelemente
eingeteilt. Durch die leicht geöffneten, weißen Innenjalousien malten die
Sonnenstrahlen verspielte, schmale Streifen auf das Holz. Doch Hertha hatte
keine Augen für die schönen Kleinigkeiten in ihrer Umgebung. Sie nahm keinerlei
Notiz davon.
David kniete vor einer Lade und verteilte den
Inhalt, bunte Broschüren, Fotos, kleine Kassetten und einiges an Krimskram , eifrig auf dem hellen Parkettboden. Er war, wie
die meisten seiner Altersgenossen, ein sehr aufgeweckter Bursche. Begeistert
ließ er die verschiedenen Materialien durch seine kleinen Finger gleiten,
führte immer wieder ein besonderes Stück an seinen Mund und holte mit Entzücken
immer tollere und interessantere Dinge aus der Kommode. Als Eva unbemerkt das
Zimmer betrat, lächelte ihr Bruder still vor sich hin, während er buntes Papier
geräuschvoll zwischen seinen ungeschickten Händen knetete.
In diesem Moment erwachte Hertha aus ihrer
Lethargie. Wutentbrannt sprang sie auf und eilte mit kurzen, hektischen
Schritten zu ihrem Sohn. Ihre mageren Hände, packten David gefühllos und viel
zu heftig. Sie hob ihn in die Höhe. „Mach das nie wieder!“ kreischte sie. Eva,
die wie erstarrt in der Ecke stand, blickte seitlich in die großen, blaugrauen
Augen ihrer Mutter, die selten zuvor so bedrohlich auf sie gewirkt hatten. Hertha
schüttelte den Buben, der vor Schock noch immer keinen Ton von sich gegeben
hatte, so, als wollte sie ihrer Aussage noch
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