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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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darüber nach, was sie sagt oder tut. Bei mir macht sie das auch
immer so. Weißt du noch letzte Woche, als sie mir wegen ein paar Tintenpatzer
gleich die ganze Seite des Aufgabenheftes herausgerissen hat?“, fragte er,
nachdem er wie selbstverständlich auf der Bettkante Platz genommen hatte. Seine
großen blauen Augen starrten vorsichtig abwartend auf die finsteren Züge seines
Großvaters.
    Am liebsten hätte Franz den aufgeweckten
blonden Jungen in seine Arme genommen und ganz fest an sich gepresst, doch er
unterdrückte seinen Impuls. Vor ihm saß ein Junge, und dieser Bursche sollte
einmal ein richtiger Mann werden und kein gefühlsduseliger Jammerlappen.
    „Deine Mutter wird sich bei mir entschuldigen
müssen“, sagte er streng, während er beobachtete, wie es den Jungen kaum
merklich zusammenzog.

Als Verena montagmorgens gähnend ins Amt kam,
saß ihre Kollegin bereits an ihrem Schreibtisch und tippte verbissen die
neuesten Umfragedaten in die Datenbank. „Hey Christl, hast du schon gehört, wo
sich deine Arbeitskameradin in letzter Zeit nachts dauernd herumtreibt?“, tönte
es aus dem Nachbarbüro, als Verena gerade im Begriff war, die Tür hinter sich
zu schließen. Ein Kollege aus der Bauabteilung zwinkerte Verena zu, während er
Christine erwartungsvoll anschaute. Sie war eine sehr liebenswerte aber auch
unglaublich naive Person. Die Kollegen machten sich gerne einen Spaß daraus,
ihr die unglaublichsten Geschichten zu erzählen und zu beobachten, wie sie mit leicht
geöffnetem Mund lauschte, um gleich darauf dieselbe Geschichte, etwas
aufgebauscht, mit glühender Begeisterung jemandem weiter zu erzählen. Niemand
wäre so verrückt gewesen, ihr tatsächlich ein Geheimnis anzuvertrauen. „Vergiss
den Idioten!“, knurrte Verena schlecht gelaunt, als sie den neugierigen Blick
ihrer Kollegin bemerkte. Sie hatte heute wirklich nicht den Nerv für solche
Witze, obwohl es ihr für gewöhnlich auch eine schelmische Freude bereitete, Christine
einen Bären aufzubinden. Sie hatte beinahe die ganze Nacht kein Auge zugetan
und wartete nur mehr gespannt, was der eben erst angebrochene Arbeitstag mit
sich bringen würde.
    „Du siehst aber wirklich nicht besonders rosig
aus. Stimmt irgendetwas nicht mit dir?“
    An Tagen wie diesem war es eine Qual, mit
einer Kollegin wie Christine geschlagen zu sein. War ihre Neugier erst einmal
geweckt, schien ihren Argusaugen nicht die winzigste Kleinigkeit zu entgehen.
Verena setzte sich niedergeschlagen an ihren Schreibtisch. Ihr Gegenüber hatte
den wachsamen Blick noch immer nicht von ihr abgewandt, als der Chef den Kopf
zur Tür hereinsteckte.
    „Frau Bach, kommen Sie bitte kurz zu mir ins Büro!“
    Es war erst acht Uhr. Normalerweise tauchte
er nicht vor neun im Büro auf. Aber nicht nur die ungewöhnliche Uhrzeit und sein
energischer Ton ließen wenig Gutes erahnen. Sie schnappte Kugelschreiber und
Block, rückte rasch ihr T-Shirt zurecht, zog ihren knielangen Rock nach unten, eilte
mit zügigen Schritten in Richtung Chef-Büro und schloss sachte die schalldicht
gepolsterte Tür hinter sich.
    Er saß, oder besser gesagt, er hing in seinem edlen schwarzen
Ledersessel hinter dem mächtigen Schreibtisch aus schwerem Eichenholz. Das
Licht der aufgehenden Sonne fiel bereits durch die großen Fensterflächen und
beleuchtete sein aschfahles Gesicht. Heute hätte sie nicht behaupten können,
einen besonders attraktiven Chef zu haben. Sein nicht ganz schlanker Körper,
der eine stattliche Größe von über 1,90 cm maß, wirkte an diesem Tag gedrungen
und seine dunklen, an den Schläfen leicht ergrauten, kurzen Haare, die sonst
mit Gel gepflegt, lässig im Nasslook nach hinten
gelegt waren, standen borstig und wirr in alle Richtungen. Erst jetzt bemerkte
Verena leicht amüsiert die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen.
    „Wo bist du das ganze Wochenende gewesen?
Warum hebst du nicht ab, wenn ich anrufe? Habe ich kein Recht an deinem Leben
teilzuhaben?“, brüllte er ihr entgegen noch bevor sie ihm gegenüber Patz nehmen
konnte. Verena hatte bereits mit einer derartigen Szene gerechnet. In
Wirklichkeit hatte sie sich das sogar gewünscht. Er sollte sehen, wie schön es
ist, ignoriert zu werden. Schließlich machte er doch seit Monaten nichts anderes
mit ihr. Julian hatte ihr den Tipp gegeben, und sie hatte anfangs direkt Angst
gehabt, diesen Rat bis zur letzten Konsequenz durchzuziehen. Besonders in den
Abendstunden, da sie wieder allein im kühlen Zimmer saß, bettelte

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