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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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westliche Wand auf der gesamten Breite.
Vor der Fensterfront standen ein kleiner Lesetisch und drei gemütliche
Korbsessel mit naturweißen Leinenauflagen. Eva mochte in diesem Bereich keine
Vorhänge, sie wollte, dass die Elemente zum Bestandteil des Raumes wurden. Sie
war mit dem Ergebnis des Umbaus von vor zwei Jahren äußerst zufrieden, selbst
als die Sonne begann, den Teppich auszubleichen. „Kaufen wir eben einen neuen“,
hatte sie zu David gesagt, als dieser sie darauf aufmerksam machte. Sie wischte
mit einem weichen Tuch liebevoll über die ohnehin nicht staubigen Vitrinen und
setzte sich schließlich an den kleinen Tisch. Außer ihrem mit Fotos
austapezierten Schlafzimmer war dies der Raum, den sie am meisten liebte. Sie
fand, er hatte Klasse. Hier hatte sie schon viele schöne Stunden mit ihren
Freunden verbracht. Heute hatte sie ein kleines Sträußchen Wiesenblumen auf den
Tisch gestellt. Daneben stand eine edle, rote Kerze auf einem schmiedeeisernen
Halter. Beim Anblick der drei großen, bauchigen Rotweingläser huschte ein
Lächeln über ihre Züge. „Es ist schon viel zu lange her, seit wir den letzten
richtigen Frauenabend hier abgehalten
haben“, sagte sie halblaut zu sich selbst. Wieder musste sie lächeln. Julian
würde wieder in die Luft gehen, wenn er das hören könnte. Obwohl er offen zu
seiner Homosexualität stand, war es immer wieder eine Freude, ihn hochgehen zu
sehen, wenn man ihn als Frau bezeichnete. Sie selbst war in diesen Aussagen ihm
gegenüber ja relativ zurückhaltend, aber Verena nahm sich selten ein Blatt vor
den Mund. Eva blickte flüchtig auf die Uhr. Eigentlich sollte Verena schon da
sein. Sie hatte versprochen, sofort nach Dienstschluss aufzutauchen. „Es sei
ihr verziehen“, dachte Eva, „sie ist eine der wenigen, die einen gewichtigen
Grund haben, länger in der Arbeit zu bleiben als nötig.“ In diesem Moment
klingelte es an der Tür. Erst als sie öffnete, fiel ihr auf, dass sie den
Putzlappen noch immer in der Hand hatte.
    „Hi, Eve!“, grüßte Verena und umarmte sie
stürmisch. „Na, wird wohl Zeit, dass ich wieder einmal bei dir vorbeischaue.
Sieht so aus, als würdest du schon komplett als Hausmütterchen verkommen!“
    „Nun werd mal nicht frech!“ Eva ging voran in
ihre heimelige Bibliothek. „Sieh dich um - der Glanz in meiner Hütte – alles
nur deinetwegen!“ Demonstrativ drehte sich Verena im Kreis. Beim Blick auf den kleinen
gedeckten Tisch hielt sie inne. „Drei Gläser? Ich habe die leise Vermutung, du
erwartest noch jemanden.“
    „Überraschung!“
    „Julian?“
    „Wie hast du denn das wieder so schnell
erraten?“, fragte Eva gespielt verwundert.
    „Aber ich dachte, er kommt erst am
Wochenende.“
    Eva erzählte in Kurzfassung von Franz Seidls
Verschwinden und wurde von Verenas Fragen immer wieder unterbrochen.
    „Lass uns doch von etwas anderem reden.
Julian wird uns später sowieso über den letzten Stand der Dinge aufklären. Na
wie läuft es im Amt?“, versuchte Eva geschickt vom Thema abzulenken.
    „Viel Arbeit, wenig Brot! Nichts Neues!“
    Eva zwinkerte schelmisch. „Das meinte ich
nicht und das weißt du ganz genau!“, sagte sie, bevor sie kurz den Raum verließ,
um in wenigen Sekunden mit bunt belegten Brötchen in der einen Hand und mit
einem gefüllten Weindekanter aus Glas in der anderen wieder
aufzutauchen. Den teuren italienischen Rotwein hatte sie bereits vor einigen
Stunden dekantiert, um später das volle Aroma genießen zu können. Sie war nicht
sicher, ob ihre Freunde den Unterschied zu einem unvorbereiteten Wein erkennen
würden, aber das war ihr egal. „Für meine Freunde nur das Beste“, sagte sie,
während sie das Teller mit den Brötchen abstellte. Gekonnt stellte sie sich wie
die Kellnerin eines Nobelrestaurants rechts hinter Verena und goss ein
Schlückchen Rotwein in ihr Glas.
    Verena nippte kurz, ließ den edlen Tropfen einige
Sekunden betont geräuschvoll in ihrem Mund hin und her gleiten, nippte noch
einmal und hob schließlich lässig die rechte Hand, um anzudeuten, dass
nachgeschenkt werden dürfte. „Ich muss schon sagen, das ist ein wahrhaft gutes Tröpfchen !“, verkündete sie mit tiefer Stimme und
übertrieben gespitzten Lippen.
    „Nun lenk nicht ab, meine Liebe!“, sagte Eva,
die sich inzwischen wieder neben Verena gesetzt hatte. „Ich habe dich was
gefragt!“
    „Was willst du wissen? Ob sich der Scheißkerl
endlich zu mir bekennt? Wie grandios ich ihn abserviert habe? Oder doch

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