Ehre sei dem Vater (German Edition)
seiner Schwester mitgeteilt hatte,
dass er heimkommen wollte, um selbst nach seinem Vater zu suchen, hatte sie
ironisch gemeint, dass er in diesem speziellen Fall auch zu Hause wohnen
könnte, weil ihn die Person, die ihm Hausverbot erteilt hatte, diesmal mit
allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht verjagen würde. Worauf er geantwortet
hatte: „Das wäre das erste Mal, dass ich mich über einen Rauschmiss freuen
würde!“
Julian hatte ja bereits in der Vorwoche
telefonisch mit seiner Freundin Eva vereinbart, dass er am bevorstehenden
Freitagabend kommen und dann fürs Wochenende bei ihr bleiben würde, um sie ein
wenig von ihren Problemen abzulenken. Im Sommer wollte er dann seinen Urlaub zum
Teil ebenfalls in der Obersteiermark und zum anderen Teil irgendwo im sonnigen
Süden verbringen. Doch nun sah es ganz so aus, als bräuchte er seelische Unterstützung und der
geplante Sommerurlaub könnte durchaus ins Wasser fallen - je nachdem wie lange
es dauerte, bis sein Vater wieder auftauchen würde.
Zurück in der Wohnung packte er die
wichtigsten Dinge in einen etwas größeren Koffer. Er war sicher, dass Eva
Verständnis für seine Lage hätte und ihn auch schon früher bei sich aufnehmen würde.
Wenn blaue Narzissen am Wegrand stehn
und auf den Weiden goldene Kühe
grasen,
Dann glauben so Manche, nicht richtig
zu sehn,
doch was die Realisten längst
vergaßen,
während sie sich rastlos um sich
selber drehn :
Träume sind wie Seifenblasen -
Vergänglich und doch unsagbar schön!
Ein Thor ist, wer etwas anderes glaubt!
Illusionen können durch die Lüfte
gleiten,
wenn der Mensch es ihnen erlaubt.
Doch passiert das selten in unseren
Breiten,
wir wurden längst unserer Fantasien
beraubt.
In den schönsten Farben könnten sie
Freude bereiten,
nur Träumen ist scheinbar nicht mehr
erlaubt!
„Schräg, verdammt schräg, aber gut!“ murmelte sie vor sich hin, als sie ihr
Werk zum x-ten Mal las. Es kam sehr selten vor, dass ihr die Verse, so wie
heute, förmlich zuflogen und dass Eva selbst nach mehrmaligem Durchlesen nichts
daran auszusetzen hatte. Aber das lag am heutigen Tag – es war ein ganz
besonderer Tag. Die Kummerwolken der vergangenen Wochen hatten sich total
verzogen. Heute Morgen hatte sie ihn getroffen! Nachdem sie zeitig aufgestanden war, um ihren Bruder zur
Aufmunterung mit frischen Brötchen zu überraschen, stand er beim Bäcker plötzlich vor ihr. Man stelle sich vor: 6.30 Uhr
morgens. Sie, etwas zerzaust von einer kurzen, traumlosen Nacht, nur notdürftig
geschminkt, im Jogginganzug mit offenen Turnschuhen. Er, ein Bild für Götter! In
einem sportlich-eleganten hellen Leinenanzug, darunter ein marineblaues Hemd
mit offenem Kragen. Schuhe Marke Superman und eine
Frisur wie aus dem Katalog. Bei diesem Gedanken stieg ihr kurz die Schamesröte
ins Gesicht. „Herr, öffne mir ein Loch im Boden, in dem ich unauffällig
versinken kann!“, war ihr im ersten Moment durch den Kopf geschossen. Doch als
er sie erblickte, lächelte er. „Hi Eva, dich habe ich schon ewig nicht mehr
gesehen. Wie geht’s denn so. Was macht die Kunst?“
„Sein Lächeln war so warm, so intensiv!
Niemand schenkt jemandem, der ihm nichts bedeutet so ein Lächeln !“ - sie sah noch immer das Strahlen seiner Augen vor
sich. Obwohl die Begegnung insgesamt nur einige wenige Minuten (oder vielleicht
doch nur Sekunden?) gedauert hatte, war sie für Eva so wohltuend und
inspirierend, dass sie schon seit Stunden auf Wolke sieben schwebte. Sie
versuchte sich krampfhaft zu erinnern, was sie ihm auf seine Frage geantwortet
hatte, aber es wollte ihr einfach nicht mehr einfallen. Sie wusste nur noch,
dass ihre Antwort kurz und bündig war - ohne große Ausführungen. „Ist ja auch
egal, was ich gesagt habe, wichtig
sind seine Worte oder besser gesagt, das, was er zwischen den Zeilen zu mir
sagte.“ dachte sie. „Ich denke, nun ist es endlich Zeit, Farbe zu bekennen. Ich
werde ihn demnächst um ein Gespräch bitten. Wir sind für einander bestimmt. Es
ist nun endlich an der Zeit, die Weichen für eine gemeinsame Zukunft zu
stellen!“
Nach einem flüchtigen Blick auf die Uhr
wandelte sie, noch immer in ihre Tagträume versunken, in ungewohnter
Hochstimmung vom Zimmer in die Bibliothek. Sie war stolz auf diesen Raum. Die
Wände waren mit Regalen und Vitrinen voller Bücher bedeckt, eine stilvolle,
schwenkbare Stehlampe sorgte für angenehmes Licht. Hohe Fenster, die sie eigens
hatte einbauen lassen, durchbrachen die
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