Ehre sei dem Vater (German Edition)
Gefühl im Bauch parkte er seinen Wagen direkt
neben der Eingangstür des Gebäudes, in dem die Gendarmerie untergebracht war. In
den alten, respekteinflößenden Mauern war nicht nur der Gendarmerieposten untergebracht, sondern auch das Bezirksgericht, dessen drohende Schließung nun
in aller Munde war. Er selbst hatte das Haus noch nie betreten und hatte auch
nicht geglaubt, es jemals betreten zu müssen. Er öffnete einen Flügel der
schweren hölzernen Eingangstür. Vier alte ausgetretene Stufen aus Naturstein
wiesen den Weg ins Innere des Gebäudes, wo es trotz der milden Wetterlage kalt
und unfreundlich war. Julian verfolgte die Hinweisschilder, bis er vor der
gewünschten Türe stand. Zögernd klopfte er an. „Ja“, tönte eine laute,
selbstbewusste Stimme. Ein kleiner, dicklicher Mann in makelloser Uniform erhob
sich von seinem Schreibtischsessel und trat an ein hölzernes Pult, das sich zur
rechten Seite der Tür fast über die gesamte Länge des Raumes zog. Julian war
auf den ersten Blick enttäuscht von der Einfachheit des Raumes. Er hatte bisher
nur Dienstzimmer aus diversen Fernsehfilmen gekannt. Die exklusive Ausstattung
der Büros dort hatten eine gewisse Überlegenheit demonstriert.
Zwei Computer an der hinteren Ecke des Raumes
standen auf schmucklosen Schreibtischen aus dunklem Holz. Davor standen zwei
einfache braune Sesseln auf Rollen, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit
bald an Altersschwäche hinscheiden würden. Durch die nordseitig angelegte
Fensterfront kam zwar ausreichend Licht in den Raum, die Wärme schien
allerdings zumindest an diesem Tag nicht in das Gemäuer dringen zu können. „Was
kann ich für Sie tun?“, fragte der Uniformierte, der sich zuvor kurz als
Revierinspektor Link vorgestellt hatte. Julian besann sich augenblicklich wieder
auf den unangenehmen Grund seines Erscheinens. „Mein Name ist Julian Seidl.
Wegen meines Vaters wurde eine Abgängigkeitsanzeige erstattet und ich wollte fragen, ob es Neuigkeiten gibt.“ Die listigen blauen
Augen des dunkelhaarigen Beamten fixierten ihn neugierig. „Sie sind also Julian
Seidl. Ich hatte ohnehin noch vor, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, um ein paar
Informationen einzuholen.“ „Ich glaube nicht, dass ich Ihnen sehr viel
weiterhelfen kann, ich lebe schon seit mehr als sieben Jahren in Graz und habe
seither keinen Kontakt mehr zu meinem Vater gehabt“, sagte Julian höflich und
fuhr fort: „Viel eher hatte ich gehofft, von Ihnen über den letzten Stand der
Ermittlungen unterrichtet zu werden.“ Der Gendarm wandte wortlos sein
fleischiges Gesicht von Julian ab und suchte einige Unterlagen durch, um
schließlich mit einem kleinen Stapel Papier in einer blauen Dreiflügelmappe
wieder an das Pult zu kommen. Er bot Julian keinen Sitzplatz an. “Sie leben wo
genau, Herr Seidl?“, fragte er im geschäftigen Ton, ohne auf Julians Worte
einzugehen. Julian gab seine Adresse an und wurde, nachdem der Beamte alles auf
der vorgedruckten Liste eingetragen hatte, bereits mit der nächsten Frage
konfrontiert: „Wann haben Sie den Vermissten zuletzt gesehen?“ - „Wie ich Ihnen bereits vorhin gesagt habe,
habe ich meinen Vater seit mehr als sieben Jahren nicht mehr gesehen. Wir
hatten auch keinerlei Kontakt“, entfuhr es Julian nun schon etwas verärgert.
Der Beamte wies ihn mit arrogantem Tonfall darauf hin, dass alle seine Fragen
nur Formsache wären und schließlich dazu beitragen sollten, den Verbleib des
Vaters so bald wie möglich herauszufinden. Wieder bohrte er in der alten Wunde:
“Es ist äußerst ungewöhnlich, so viele Jahre keinerlei Kontakt zu seinem Vater
zu haben. Finden Sie nicht auch?“ fragte der Beamte. „Es mag ungewöhnlich sein,
aber in meinem Fall ist es leider so“, antwortete Julian ungeduldig.
„Sie verstehen sich also nicht mit Ihrem
Vater. Was ist vorgefallen?“
Julian hatte schon auf diese Frage gewartet.
Er fühlte sich, wie ein Verbrecher beim Verhör. Seine Stirn glänzte feucht und
seine braunen Haare hatten sich zu Kringeln verklebt. Er schwitzte stark,
während es ihn gleichzeitig fröstelte. „Mein Vater wollte mich nicht mehr sehen“,
sagte er zerknirscht, „aber das ist eine ganz andere Geschichte und die hat mit
seinem Verschwinden ganz bestimmt nichts zu tun. Wie gesagt, habe ich ihn seit
Jahren nicht mehr gesehen.“
„Glauben Sie mir, ich stelle diese Fragen
nicht aus Neugier, sondern nur weil das Teil meiner Arbeit ist. Also bitte behindern
sie meine Tätigkeit nicht. Wir
Weitere Kostenlose Bücher