Ehre sei dem Vater (German Edition)
gesehen zu haben. Sie
kannte den Burschen nun schon, seit er auf die Welt gekommen war. Früher wirkte
er immer ein wenig kränklich, seine zarte Haut leicht durchsichtig. In den letzten
Jahren hatte er sich aber zu einem richtigen attraktiven jungen Mann
entwickelt, der mit seinem jungenhaften Charme die Wirkung beim anderen
Geschlecht nicht verfehlte. „Was ist denn in den Jungen gefahren?“, fragte sie
ehrlich besorgt.
„Das ist eine längere Geschichte“, sagte Eva,
die zu überlegen schien, ob sie Verena einweihen durfte. „David ist in
ernsthaften Schwierigkeiten“, fuhr sie fort. „Er hat sehr viel Geld verspielt.
Mehr als er jemals hatte. Bis Ende des Jahres muss er einen riesigen Schuldenberg
abbauen. Durch eine Lohnpfändung ist nun auch seine Firma informiert. Er schämt
sich furchtbar und kommt immer öfter betrunken nach Hause. Und wenn er nicht
getrunken hat, ist er schlecht gelaunt.“ Sie machte eine kurze Pause und fügte
hinzu: „Das war die Kurzfassung. Es sieht im Moment ziemlich schlecht für ihn
aus und das Schlimmste ist, dass ich ihm nicht helfen kann. Ich habe alle meine
Ersparnisse für den Umbau ausgegeben und mit der knappen Notstandshilfe, die
ich beziehe, kann ich selbst keine großen Sprünge machen.“ Verena hatte
beobachtet, wie ihre Freundin mit einem Mal innerhalb von wenigen Minuten von
der positiv motivierten Freundin zur leidenden Schwester geworden war. Ihr
Körper war in sich zusammengesunken. Nicht das kleinste Anzeichen ihrer noch
vor kurzem an den Tag gelegten Fröhlichkeit war mehr zu erkennen. „Wie sieht es
aus auf dem Stellenmarkt?“, versuchte Verena möglichst locker einzuwerfen. Gleichzeitig
bemerkte sie, dass das sicher nicht der richtige Moment war, die Freundin auf
ihre Arbeitslosigkeit anzusprechen.
Eva hatte es satt, täglich neue Absagen von
allem möglichen Firmen zu erhalten und hatte bereits seit einiger Zeit ihre
gesamte Konzentration der Fotografie und dem Gedichte schreiben gewidmet. Wer
weiß, vielleicht ließ sich irgendwann ja damit Geld verdienen. Was sie zurzeit
am allerwenigsten brauchen konnte, war der schale Büroalltag. Ihr Job als
Bilanzbuchhalterin hatte ihr früher sehr viel Spaß gemacht. Heute erschien ihr
das geradezu absurd. „Hätte ich doch den Beruf meines Vaters erlernt!“, sagte
sie mehr zu sich selbst als zu Verena. „Als Anwältin hätte ich jetzt
wahrscheinlich eine eigene Kanzlei und müsste mich nicht dauernd von den
hochnäsigen Personalchefs abweisen lassen, noch bevor ich meine Kompetenz unter
Beweis stellen darf. Wahrscheinlich passt denen schon allein mein Gesicht
nicht! Wenn Mutter damals nicht so stur gegen diesen Bildungsweg gewesen wäre,
stünde ich jetzt sicher nicht vor diesem Problem. Ich hätte ganz einfach meinen
Instinkten folgen sollen. Aber nein, Frau Mama musste genau zu dem Zeitpunkt
wieder die Oberhand übernehmen. In einem kurzen Moment ihrer ohnehin nicht
ehrlich gemeinten Anteilnahme an meinem Leben hatte sie wieder einmal alles
zerstört.“
„Jetzt gehst du aber eindeutig zu weit! Du kannst
nicht immer die Schuld an allen Rückschlägen in deinem Leben auf deine Mutter
schieben. Sicher hat sie viele Fehler gemacht, aber sie hatte es eben auch
nicht leicht. Sie selbst leidet bestimmt genau so an eurer schlechten Beziehung
wie du. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede“, gab Verena wütend zurück. Sie
lehnte sich zurück und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Weinglas. Ein Blick
auf Eva verriet ihr, dass sie nun selbst den Bogen überspannt hatte. „Tut mir leid“,
sagte sie. „Ich weiß, es steht mir nicht zu, über dein Leben zu urteilen.
Entschuldige! Ich habe mich so gefreut, dich heute endlich einmal in besserer
Stimmung anzutreffen. Lass uns diese unangenehmen Themen wieder vergessen!“
„Schon gut“, gab Eva zurück. Das klang nicht
allzu überzeugend fand Verena, aber heute waren sie wohl beide schon durch
sämtliche Gemütshöhen und –tiefen gewandert. Den Grund für Evas
Stimmungsumschwung hatte sie ja live mitbekommen, aber was war eigentlich der
Grund für die überschwänglich gute Laune bei ihrer Ankunft? Hatte die Vorfreude
auf den gemeinsamen Abend für dieses Hoch gereicht? Sie würde noch dahinter
kommen, da war sie sicher.
Obwohl Julian wusste, dass seine Freundinnen
bereits auf ihn warteten, verspürte er den Drang, noch am Gendarmerieposten Irdning vorbeizuschauen, um sich über den letzten Stand der Ermittlungen zu
informieren. Mit einem mulmigen
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