Ehre sei dem Vater (German Edition)
lieber,
wie sehr ich diesen Idioten vermisse?“
„Nun aber mal langsam, da scheint ja jede
Menge passiert zu sein seit unserem letzten Treffen!“, sagte Eva verblüfft.
„Das ist wieder einmal typisch! Das „ Sandter Mauerblümchen“ wartet zu Hause, dass die Zeit vergeht und bei Madame Bach ist
wieder einmal die Hölle los. Das ist unfair. Lass mich wenigstens ein wenig an
deinem aufregenden Leben teilhaben. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich
beneide!“
„Wenn du dich da mal nicht irrst!“ Verena
holte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Tasche und fuchtelte nervös an der
Verpackung herum, während sie einen fragenden Blick in die Richtung ihrer
Freundin warf.
„Ist schon gut! Du weißt doch, dass du hier
rauchen darfst!“, warf Eva ungeduldig ein. Doch Verena schien alle Zeit der
Welt zu haben. Wortlos nahm sie eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie
an und inhalierte den ersten Zug tief. Sie wirkte wie jemand, der dem Ertrinken
nur knapp entkommen war und an der Wasseroberfläche nach Sauerstoff lechzte. „Ich
bin so bescheuert!“, sagte sie, gleichzeitig mit ihrer linken Hand auf ihre
Stirn tippend. „Ich hab’ Alexander kalt abserviert, hab’ ihm die Tür vor der
Nase zugeknallt und ihn, obwohl er wirklich für alles, was ich ihm vorwarf, plausible
Erklärungen parat hatte, eiskalt abblitzen lassen. Julian hat mir den schlauen
Tipp gegeben, den Herrn mal so richtig zappeln zu lassen. Und ich hab’ ihm
tapfer vertraut. Bis vorgestern hat Alex auch noch täglich versucht mich zu
Hause anzurufen, dann hat er aufgegeben. - Trifft sich gut, dass ich meinen
weisen Ratgeber heute noch treffe! Mein Gott, der kann was erleben!“ dröhnte
sie mit theatralisch erhobenem Zeigefinger. Eva spürte, dass ihre Freundin mühsam
versuchte, auf dem Grat zwischen Lachen und Heulen nicht auf die Trübsalseite zu stürzen. Sie benutzte gerne übertriebene Gestikulierungen , um ihre Gefühle unter Kontrolle zu
kriegen.
„Er hat einfach so, nach tagelangen
vergeblichen Versuchen aufgegeben. Ist das zu fassen?“ Verena war während ihrer
Ansprache immer lauter und schneller geworden. Bei den letzten Worten war sie
in Schluchzen übergegangen.
„Er wird’s wieder versuchen, da bin ich mir
ganz sicher. Ich glaube, Julian hat Recht. Der soll ruhig zappeln. Je länger,
desto besser!“
„Und wenn er sich nicht mehr meldet? Was mach
ich dann?“
Eva war inzwischen näher zu Verena gerückt
und hatte ihre Hand liebevoll um sie gelegt. „Eigentlich eine ungewöhnliche
Konstellation“, dachte sie. „Normalerweise ist es eher umgekehrt!“ Wenn sie
jetzt darüber nachdachte, fiel ihr keine einzige vergleichbare Situation ein. Verena
war schon immer die Positivere und Robustere von ihnen beiden gewesen. Sie
verstand es, sich wie ein Stehaufmännchen immer wieder aufzurichten. „Warum ist
es heute anders?“, fragte sie sich. Martin fiel ihr wieder ein. Das
Zusammentreffen mit ihm war es, das ihr die gute Laune und den Energieschub
verschafft hatte.
Eva wurde wieder aus ihren Gedanken gerissen.
“Was mach ich, wenn er nichts mehr von mir wissen will, hm?“, wiederholte
Verena.
„Er wird sich melden, verlass dich drauf.
Angekrochen wird er kommen, du wirst schon sehen!“
Schritte im Flur machten Verena plötzlich
bewusst, dass sie beide nicht allein im Haus waren. Eilig strich sie mit dem
Ellbogen über ihre Wangen, um ein paar Tränen fortzuwischen. David steckte den
Kopf zur Tür herein. “Na, was wird denn hier gefeiert?“, fragte er anstelle
einer Begrüßung.
„Hi, David! Schön dich wieder einmal zu
sehen. Setz dich doch ein wenig zu uns!“, sagte Verena, die ihre Kontrolle sehr
rasch wieder gefunden hatte. Evas Bruder war beinahe nicht wieder zu erkennen.
Er wirkte heruntergekommen. Seine brünetten, schulterlangen Haare, die ihr
früher gut gefallen hatten, weil sie stets gepflegt aussahen, hingen fettig
glänzend in sein Gesicht. Sein Rasierapparat hatte sicher schon sehr lange
keinen direkten Kontakt mit seinem Besitzer gehabt und der Trainingsanzug, den
er trug, hatte seine guten Zeiten längst hinter sich gebracht.
„Ein andermal“, sagte er mit abwehrender
Geste, „mir ist im Moment nicht so nach Feiern.“ Ohne mögliche Einwände
abzuwarten, verschwand er wieder durch die Tür.
Evas Miene hatte sich etwas verfinstert. „So
geht das nun schon seit einiger Zeit“, sagte sie, „er lässt niemanden an sich
heran“. Verena konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so
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