Ehre sei dem Vater (German Edition)
Verschwinden auch nur im
Entferntesten mit dem Besuch des Fremden zu tun hatte, war es geradezu
sträflich gewesen, nicht weiter nachzubohren.
Peinlich berührt hatte sie den Mann an jenem
Morgen einfach stehen gelassen und war ins Haus geeilt, um nach Franz zu
suchen. Als er sich auf ihre Rufe nicht gemeldet hatte, war sie in den ersten
Stock geeilt, um dort nach ihm Ausschau zu halten. Doch er war weder im Zimmer
noch auf dem Balkon zu finden gewesen und sie musste ohne Ergebnis wieder zu
dem Deutschen zurückkehren. Anna wollte ihn noch zu einem Kaffee mit ins Haus
bitten, aber der Mann hatte dankbar abgewinkt. Er erzählte, dass er nur auf der
Durchreise nach Kroatien sei. „Ein Kurzurlaub“, fügte er noch hinzu, als hätte
er ihr erklären müssen, was er dort machte. Danach hatte er sie noch höflich
ersucht, ihrem Mann schöne Grüße von ihm zu bestellen und er würde auf dem
Heimweg nach Möglichkeit nochmals versuchen ihn zu treffen.
„Habe ich dir bereits erzählt, dass Julian
wieder im Land ist?“, unterbrach Barbara die Gedanken ihrer Mutter.
Die beiden langstieligen, weißen Rosen in
seinen Händen ließen die Köpfe schon ein bisschen hängen, als Julian endlich am
Haus seiner Freundin ankam. Erschöpft betätigte er die Klingel, während sein
Blick auf der alten, schweren Eichentür ruhte. Er selbst hatte sie vor Jahren in
mühevoller Kleinarbeit mit Schleifpapier abgeschliffen und gebeizt. Ihre
lederbraune Farbe passte sich dem Gesamtbild des alten Hauses perfekt an. Mit
ihrem Faible für alles Schöne wurde Eva nie müde zu betonen, dass man die
verschiedenen Holzsorten ruhig an einem Gebäude vermischen könnte, weil diese
ja auch in der Natur perfekt zueinander passten. Sie hatte das Dach mit
Lärchenschindeln decken lassen, nicht nur weil dieses Holz den
Witterungsverhältnissen trotzt und nur selten von Schädlingen und Pilzen
befallen wird (wie sie Julian seinerzeit belehrte), sondern auch weil deren
rotbraune Farbe perfekt mit den Holzelementen an den zahlreichen Fenstern des
Hauses harmonierte.
Die fast schon antik anmutende Türschnalle
aus Eisen wurde ruckartig nach unten gedrückt und riss Julian aus seinen
Gedanken.
„Was für ein Anblick! Ein Bild von einem Mann
mit Rosen in Händen steht erwartungsvoll vor deiner Tür!“, rief Verena über
ihre eigenen Schultern, bevor sie Julian stürmisch umarmte und ihm auf jede
Wange ein Küsschen hauchte. „Der gehört mir!“, kreischte Eva und drängte sich
zwischen die beiden. Einige Momente standen sie so, bis Julian sich aus den Umklammerungen befreien konnte, um jeder seiner Freundinnen
feierlich eine leicht verwelkte Rose zu überreichen.
In der Bibliothek musste er dann haarklein von
den neuesten Ereignissen rund um das Verschwinden seines Vaters und von der unangenehmen
Befragung auf dem Gendarmerieposten erzählen. Er war
zuvor richtig niedergeschlagen gewesen, doch nun, mit einem Glas Rotwein in der
Hand, gemütlich in einen Korbsessel versunken, sah die Welt schon viel besser
aus. Die heute wieder gewohnt positive Verena hatte gemeint, dass sein Vater -
sollte ihm etwas Schlimmes zugestoßen sein - nach nunmehr fünf Tagen längst
gefunden worden wäre. „Unser Nest ist so klein, da bleibt nichts sehr lange im
Verborgenen“, hatte sie gesagt, um kleinlaut hinzuzufügen: „außer vielleicht
die unstandesgemäße Beziehung einer kleine
Angestellten zu einem ranghohen Gemeindepolitiker!“ Das war dann die perfekte
Überleitung zu einem anderen Thema und Julian war ganz froh darüber, für kurze
Zeit nicht an den unangenehmen Grund seines Irdning-Aufenthalts erinnert zu
werden. Gleich morgen früh wollte er sein Elternhaus zum ersten Mal seit sieben
Jahren aufsuchen. Er hatte mit Barbara vereinbart, kurz vorher anzurufen, denn
sollte sein Vater in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht sein, wollte er ihn
nicht mit seiner Anwesenheit erneut vertreiben. Er war hin und her gerissen
zwischen Sorge und Vorfreude auf den lang vermissten Duft des Heimathauses.
„Sie kommen! Sie kommen!“, schrie eine junge
Frau durch die Gasse. Gleich darauf waren sämtlichen Weibsbilder in der
Nachbarschaft, die eben noch auf den Höfen und in den Gärten geschäftig herumwuselten , in ihren Häusern verschwunden. Der kleine
Junge wollte diesmal nicht allein in sein kaltes, finsteres Zimmer, wo nur der
kratzige Strohsack auf ihn wartete. Mit angstgeweiteten Augen klammerte er sich
an den Rockzipfel seiner Mutter, die sich soeben bekreuzigt
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