Ehre sei dem Vater (German Edition)
wissen,
dass sie das niemals tun würde. Barbara hatte ganz offensichtlich den
Dickschädel des Vaters geerbt. An jenem Morgen waren außer den Kindern Harald
und Markus, die bei Nachbarkindern im Zelt übernachtet hatten, alle Familienmitglieder
beim Frühstückstisch versammelt. Sogar Manfred, der die erste Mahlzeit des
Tages ansonsten meistens etwas später einnahm, hatte es am Samstag rechtzeitig
geschafft. Keinem war irgendeine Veränderung an Franz aufgefallen. Er hatte
seinen Platz wie immer verlassen, ohne sein Teller oder seine Tasse wegzuräumen
und war mit der Tageszeitung in der rechten Hand, den Hund im Schlepptau, in
Richtung Schlafzimmer gegangen. Das tat er jeden Morgen.
Anna war etwa eine Stunde später nach draußen
gegangen, um die Rosen, die sie heuer rund ums Haus gesetzt hatte, zu gießen.
Sie beugte sich gerade mit der vollen Gießkanne über die Blumen, als sie von
einem großgewachsenen Mann, der vielleicht sechzig Lenze zählte, höflich
gegrüßt wurde. Sie grüßte zurück und wandte sich sogleich wieder ihrer Arbeit
zu, in der Annahme der Fremde würde vorbeigehen. Doch er schien alle Zeit der
Welt zu haben. Ungezwungen blieb er hinter Anna stehen und bewunderte redselig die
edlen Blumen. So erkundigte er sich zum Beispiel, wie viel Pflege diese
Pflanzen bräuchten und ob sie die Blumenpracht persönlich eingesetzt hätte, bis
sich Anna ihm wieder zuwandte. Sie stellte die Gießkanne zu Boden, wischte ihre
Hände an der bunten Kleiderschürze ab und strich sich mit einer flüchtigen Bewegung
die kurzen, etwas widerspenstigen Haare aus dem Gesicht. Der schwäbische Akzent
war ihr sofort aufgefallen. Sie konnte sich jedoch nicht erinnern, den attraktiven,
dunkelhaarigen Mann, dessen Schläfen beinahe gänzlich ergraut waren, vorher
schon einmal gesehen zu haben. Seine blauen Augen strahlten freundlich unter
buschigen Augenbrauen hervor. Er roch nach teurem Rasierwasser. Genau jener Typ
Mann hätte Anna in früheren Jahren erröten lassen, hätte möglicherweise sogar
für weiche Knie ihrerseits gesorgt. Heute war sie gegen solche Blicke immun,
obgleich sie eine spontane Sympathie für ihn empfand. Ein kleines bisschen
fühlte sie sich auch von seinem Interesse geschmeichelt. Es gefiel ihr, dass
dieser Mann ihre Liebe zu den Rosen zu teilen schien. „Sollten wir uns
kennen?“, fragte sie.
„Das ist nicht leicht möglich, weil ich mich
gegenwärtig zum ersten Mal in ihrer wunderschönen Gegend aufhalte“, antwortete
er lächelnd. „Es sei denn, wir hätten uns in meiner Heimat einmal getroffen.“
Jetzt hatte er es tatsächlich geschafft, sie in Verlegenheit zu bringen. „Ich
dachte nur, weil, weil …. .“, stieß Anna unbeholfen hervor. „Schon gut. Ich
muss mich entschuldigen. Wie unhöflich von mir. Ich quatsche sie an, ohne mich
vorzustellen. Mein Name ist Robert Millner -Rubens.
Ich komme aus Deutschland. Genauer gesagt aus Esslingen am Neckar. Sagt ihnen
der Name etwas. Es liegt in der Nähe von Stuttgart.“
Anna konnte heute nicht mehr mit absoluter
Sicherheit sagen, ob sie den Vornamen richtig in Erinnerung hatte. Bei dem klingenden
Doppel-Nachnamen war sie erstaunlicher Weise ziemlich sicher.
In ihrer gedanklichen Rekonstruktion des
Samstagmorgens wollte sie ganz bewusst keine noch so kleine Einzelheit
übersehen. Gedankenverloren stellte sie die Kaffeetassen auf den Küchentisch.
Nachdem er vor ihr schließlich sein halbes
Leben ausgebreitet hatte (er war verwitwet und pensionierter Immobilienmakler),
bemerkte er fast beiläufig, dass er auf der Suche nach Franz Seidl sei. „Sie
suchen meinen Mann?“, hatte sie verwundert gefragt. „Darf ich fragen weshalb?“
Er hätte ihn vor einigen Jahren in Esslingen kennen gelernt und Franz würde
sich ganz bestimmt noch an ihn erinnern, gab er ihr zur Antwort. Nun wusste Anna
also, wo ihr Mann sich aufgehalten hatte, als er mit unbekanntem Ziel verreist
war. Die noch relativ kühle Luft des stark bewölkten Morgens brannte in ihren
Lungen, als sie tief einatmete. Fast schien der Boden unter ihren Füßen
nachzugeben. Doch sie hatte sich bald wieder gefasst. Sie wollte nun nicht auch
noch zugeben müssen, nie gewusst zu haben, dass ihr Mann vor Jahren einmal für
einige Tage in Deutschland war. Franz würde ihr später Rede und Antwort stehen
müssen, soviel stand für Anna fest. Diesmal würde sie keine Ausreden
akzeptieren.
„Hätte ich bloß noch weitere Fragen
gestellt!“, warf sie sich nun vor. Wenn Franz’
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