Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
Vom Netzwerk:
über sein
verpfuschtes Leben nachzudenken, wusste er ihren Einsatz zu schätzen. Doch nun
war es zu spät. Es gab kein zurück mehr. Er konnte
nicht einfach wieder nach Hause marschieren, als sei nichts geschehen. Seine
Hand glitt wie automatisch an die rechte Seite seiner Brust. Hier, in der
Tasche seines Hemdes, lag der Anfang vom Ende seiner Freiheit. Sein Blick fiel
wieder auf das Bildnis der heiligen Maria. „Verzeih mir!“, murmelte er.
    Die aufwändige Holzvertäfelung fügte sich an
der Vorderfront nach oben hin in das halbrunde Gewölbe ein. Auf einem kleinen
Pult in der Mitte des Raumes befand sich ein großes, altes Buch. Franz wusste
nicht, was darin stand, die Worte jedoch, die jemand in mühevoller Arbeit auf das
Tuch, mit dem das Pult liebevoll geschmückt war, gestickt hatte, konnte man von
weitem lesen: „DAS GRÖSSTE IST DIE LIEBE!“ Franz’ Herzschlag beschleunigte sich
wieder. Er versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Die Kapuziner um ihn herum
murmelten zum Teil etwas vor sich hin, zum Teil starrten sie einfach nur ins
Leere. Keiner schien besondere Notiz von ihm zu nehmen. Ein Blick auf die Uhr
sagte ihm, dass es bald wieder ein wenig lauter um ihn werden würde. Pünktlich
um 7.00 Uhr fand täglich das Morgenlobgebet, das die Brüder auch „Laudes“
nannten, statt. Gemeinsam wurde gebetet bis um 7.15 Uhr. Danach war eine
heilige Messe anberaumt, an der auch Leute von außen teilnehmen konnten.
Spätestens dann war es für Franz an der Zeit, sich zurückzuziehen. Er konnte
sich in der Küche nützlich machen, damit nach Ende der Messe das Frühstück für
ihn selbst und die fünf Brüder, die das Kloster zurzeit bewohnten, fertig war
und im Refektorium, dem Essraum , eingenommen werden
konnte. Man hatte ihm gleich zu Beginn seines Aufenthaltes hier klargemacht,
dass er nur bleiben könnte, wenn er sich aktiv am Tagesablauf beteiligen würde.
Inzwischen war er dankbar dafür, weil er dadurch von seinen üblen Gedanken
abgelenkt wurde. Zuhause wären solche Arbeiten unvorstellbar für ihn gewesen.
In einem Haushalt, der seit jeher komplett in Frauenhand war, fand er es
äußerst unmännlich, sich auf diese Weise zu betätigen. Niemals hätte er auch
nur eine Tasse auf den Tisch gestellt oder womöglich gar Kaffee gekocht,
geschweige denn nach dem Essen noch abgeräumt. Er hätte nie für möglich
gehalten, wie schnell er sich an die Gepflogenheiten im Kloster angepasst
hatte. Als er humpelnd das Kaffeegeschirr auf einem Tablett ins Refektorium
trug, meldete sich wieder der Phantomschmerz in seinem Fuß. Speziell in den
ersten Stunden des Tages, in denen sich der Stumpf wieder aufs Neue an die
Prothese gewöhnen musste, war dieser Schmerz oft unerträglich. Früher hatte er
oftmals deswegen lamentiert, doch obwohl er nach wie vor mit voller Intensität
vorhanden war, ließ er ihn nun tapfer über sich ergehen. Er empfand ihn jetzt
als eine Art gerechte Strafe. Sorgsam verteilte er die Tassen und Teller auf
einem Ende eines rechteckigen Tisches. In dem großen Speisezimmer könnten
jederzeit fünfzig Menschen ihr Essen gleichzeitig einnehmen, ohne dass jemand
weitere Sessel oder Tische aufstellen musste. Doch trotz seiner Größe strahlte
auch dieser Raum eine Harmonie aus, der Franz sich nicht entziehen konnte. Wahrscheinlich
kam das daher, dass auch das Refektorium zu einem Großteil mit Holz verkleidet
war. Die schwere rustikale Decke ließ den überdimensional hohen Raum viel
niedriger und gedrungener wirken. Am Kopfende der in U-Form angeordneten Tische
prangte ein riesiges Bild vom „Letzten Abendmahl“. Es erinnerte stark an das
berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci, jedoch waren die Figuren etwas größer
dargestellt und saßen nicht so schön in Reih und Glied. Franz hatte schon so
manches Mal versucht die abgebildeten Personen nachzuzählen, war aber immer
gescheitert. Die Figuren im Hintergrund schienen sich zu verstecken. „Eine
seltsame Parallele!“, dachte er, als er leise klappernd das Besteck zu den
jeweiligen Tellern legte. „Ich bin wohl nicht der einzige, der lieber nicht
entdeckt wird.“ Er wandte sich wieder von dem Bild ab und hinkte zurück in die
Küche, um Brot aufzuschneiden. Er wollte auf keinen Fall, dass die Brüder in
tadeln könnten. Bruder Markus, der Guardian, hatte viel Verständnis für seine
Lage aufgebracht und trotz einiger Zweifel in der kleinen Gemeinschaft
durchgesetzt, dass Franz eine zeitlang im Kloster
verweilen durfte. Als Vorsteher des

Weitere Kostenlose Bücher