Ehre sei dem Vater (German Edition)
von Anna Seidl
wählte, um ihr ein weiteres Mal mitzuteilen, dass es nichts mitzuteilen gab.
„Ich weiß, dass das jetzt etwas kurzfristig
ist, aber du hast immerhin noch Christine, die sich um deine Angelegenheiten
kümmern kann. Sie ist schon einige Jahre hier beschäftigt und hat mich noch
jedes Mal vertreten, ohne dass es jemals gröbere Probleme gegeben hätte!“,
sagte Verena in schroffem Tonfall. Seit sie mit Alexander mehr oder weniger
abgeschlossen hatte, nahm sie sich kein Blatt mehr vor den Mund, wenn sie beide
allein waren. Außerdem war das auch ein gewisser Abwehrmechanismus. Je härter
ihr Tonfall war, desto weniger könnte sich eine verfängliche Situation ergeben.
„Wir haben in dieser Woche aber ein paar
wichtige Sitzungen eingeplant, wie du weißt. Ich bin davon ausgegangen, dass du
protokollierst. Die Teilnehmer, denk bloß an Herrn Hofrat Faustner ,
sind an deine Anwesenheit gewöhnt. Es ist auch eine gewisse Vertrauensfrage,
verstehst du das nicht?“ Alexanders hilfloser Versuch, sie aufzuweichen,
stimmte Verena sofort ein bisschen milder. Sie hatte in letzter Zeit öfter
gespürt, dass seine Gefühle für sie noch nicht ganz verschwunden waren. Dennoch
machte er keine weiteren Versuche, sich mit ihr zu treffen oder sie anzurufen.
Julian hatte ihr geraten, ruhig noch ein wenig Zeit vergehen zu lassen. Er
meinte, entweder er würde sich danach Verenas Vorstellungen beugen, oder er
wäre es ohnehin nicht wert gewesen. „Glaub mir“, hatte Julian gesagt, „ich bin
auch nur ein Mann.“ Sie hatte sich zurückgehalten, um ihm nicht zu sagen, dass
er vielleicht doch kein Mann in diesem Sinn sei. Die vorgeschlagene Vorgehensweise war zwar ein wenig hart, barg aber auch
Verenas Meinung nach eine ganze Menge Wahrheit in sich.
„Na?“, Alexander riss Verena wieder aus ihren
Gedanken.
„Was wäre denn, wenn ich plötzlich krank
geworden wäre?“, fragte sie, „dann müsste doch auch jemand anders für mich
einspringen.“
„Das ist nicht dasselbe!“, wehrte Alexander
ab. „Das wäre so etwas wie ein Notfall.“
„Bitte,
versteh doch, es ist für Julian ganz wichtig, jetzt nicht allein gelassen zu
werden. Die ganze Familie macht sich entsetzliche Sorgen und alles scheint
zurzeit an ihm zu hängen. In ein paar Tagen sind wir sicher wieder zurück und
ich bin hier wieder voll einsatzfähig. Wer weiß, vielleicht bin ich bei der
Sitzung mit Faustner am Freitag bereits wieder im
Amt. Obwohl ….., wenn ich ganz ehrlich bin, macht es mir aber auch gar nichts
aus, wenn ich diesen arroganten Schnösel nicht jede Woche treffe!“
„Darum geht’s doch gar nicht“, sagte er
plötzlich leise. „Ich halte es nicht aus, dich ein paar Tage nicht zu sehen. Es
ist schon hart genug, dass sich unsere Treffen nur mehr auf die Arbeit
beschränken, aber dich nicht einmal da um mich zu haben, ertrag ich nicht.“ Er sank tiefer in seinen Sessel und senkte den Blick. Verena
konnte noch gar nicht fassen, was er eben von sich gegeben hatte. Mit offenem
Mund starrte sie in seine Richtung, ohne ein Wort herauszubringen.
„Ich wollte dich heute fragen, ob du es noch
einmal mit mir versuchen würdest. Seit Tagen quäle ich mich damit, wie du wohl
darauf reagieren würdest.“
„Wie hast du dir das vorgestellt? Willst du
dich wieder nachts bei mir einschleichen, um morgens fort zu sein und mich im
Büro zu siezen?“, fragte sie ungläubig.
„Ich hab mit Thomas gesprochen. Ich habe ihm
gesagt, wie viel du mir bedeutest. Er ist nun über uns beide im Bilde und hat
ganz anders reagiert, als ich erwartet hatte. Natürlich wäre es für ihn das
allerschönste, wenn seine Mutter und ich noch ein Paar wären, aber da das nun
mal nicht mehr der Fall ist, muss er sich wohl mit der Tatsache anfreunden,
dass es wieder eine neue Frau in meinem Leben gibt. Er hat sogar gesagt, dass
er sich freuen würde, dich kennen zu lernen.“
„Mich?“
„Na, wen den sonst, mein Mäuschen?“
„Ich mag es nicht, wenn du mich Mäuschen
nennst!“
„Gut mein Liebes ,
ich verspreche dir, dich nicht mehr bewusst mit Mäuschen anzureden!“
„Und unbewusst?“
„Dafür kann ich nichts, aber ich verspreche
dir, dass ich mir die allergrößte Mühe gebe.“
Verena saß ihm noch immer gegenüber. Sie
beobachtete, wie er seine modische Brille mit dunklem Rahmen wie immer, wenn er
nervös war, kurz von der Nase nahm, um sie sogleich wieder an der gleichen
Stelle zu platzieren wie vorher. Einige Momente wollte sie seine
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