Ehre sei dem Vater (German Edition)
seinem
Schreibtisch. Vor ihm stand neben dem Computer ein gerahmtes Foto von seiner
Frau und den beiden halbwüchsigen Töchtern. Ihm gegenüber saß ein Kollege, der
mit flinken Fingern auf seiner Tastatur klapperte. Draußen war es heiß, doch in
den Amtsräumen war die Temperatur sehr angenehm. Trotzdem fühlte sich Norbert
Schwarz unwohl. Die Sorge über die kommenden Veränderungen ließ ihn nicht zur
Ruhe kommen. In wenigen Wochen würden sie alle keine Gendarmen mehr sein,
sondern Bundespolizisten. Wie es aussah, würde das gröbere Umwälzungen nach
sich ziehen. Vorläufig sollte es zwar zu keinen Schließungen von Gendarmerieposten kommen, aber auf längere Sicht würde man
bestimmt auch in diese Richtung Einsparungen machen müssen. Wenn die Schengengrenze an den neuen EU-Grenzen fällt, werden
weniger Beamte gebraucht und wo sollte man die freiwerdenden „Wachkörper“, wie
sie neuerlich genannt wurden, wohl hinversetzen ? Außerdem
wurde viel darüber gesprochen, dass man zukünftig Auslagerungen von
verschiedenen Tätigkeiten an Private vornehmen würde. Norbert hatte das Gefühl,
nicht mehr still sitzen zu können. Er erhob sich und lehnte sich mit
verschränkten Armen gegen die Wand. Mit ausdrucksloser Miene starrte er
weiterhin auf die Fotos auf seinem Schreibtisch. Die Befürchtungen der kleinen
Beamten wurden von „oben“ immer als unbegründet abgetan, aber Schwarz war sich
da nicht so sicher. Dass er in Zukunft mehr Stunden als zuletzt draußen auf den
Straßen unterwegs sein würde, machte ihm nicht besonders viel aus, viel
schlimmer erschien ihm dabei die drohende Veränderung der Dienstzeiten. Offiziell
hieß es zwar, dass die Gendarmen zukünftig ihren monatlichen Dienstplan
behalten sollten und die neuen Kollegen von der Polizei, die bisher ihre
Schichten nach einem Jahresplan einteilten, die großen Verlierer wären, aber
Schwarz war überzeugt davon, dass man diese Punkte im letzten Moment doch noch
zum Nachteil der Gendarmen umändern würde. „Wir am Land waren für diese
Stadtschädel schon immer die Dummen und werden es auch weiterhin bleiben.
Zusammenlegung hin oder her!“, dachte er. Seine Ehe, um die es ohnehin nicht
besonders gut bestellt war, würde noch einmal auf eine harte Probe gestellt
werden. Er konnte sich gut vorstellen, wie seine Frau reagieren würde, wenn ein
geplantes Abendessen oder ein bereits gebuchter Kurzurlaub kurzfristig abgesagt
werden würde, weil es irgendjemand so wollte. Er blickte zum leeren
Schreibtisch seines Chefs. Ein kurzes Aufblitzen von Schadenfreude huschte über
sein Gesicht, als er an den Blick seines Chefs dachte, als dieser erfahren
hatte, dass eine Verflachung der Hierarchieebenen geplant war und dadurch auch
seine Autorität zukünftig in Frage gestellt wurde. Wenn er an heute Morgen
dachte, gewann seine schlechte Laune aber sofort wieder die Übermacht. Sein
Vorgesetzter war, wie meistens in den frühen Morgenstunden, übellaunig ins
Revier gekommen und hatte sich darüber beschwert, dass die Ermittlungen im Fall
von Franz Seidl viel zu schleppend voran gingen. „Haben wir nun endlich eine
Spur von unserem Vermissten?“, fragte er in die Runde und blieb mit seinem
Blick direkt bei Schwarz hängen. „Das ist der einzige interessante Fall in
unserem verschlafenen Nest und niemand findet es der Mühe Wert ,
seinen verdammten Hintern in Bewegung zu setzen!“, hatte er gebrüllt. Er hatte ihn
nicht direkt angesprochen, doch Schwarz wusste, dass er gemeint war. „Der hat
doch keine Ahnung!“, hatte er später zu einem Kollegen gesagt. „An wem hängt
denn die ganze Arbeit? Wer rennt den Verwandten und Bekannten des Abgängigen
unaufhörlich hinterher? Wer hat schon eine dicke Mappe mit
Befragungsprotokollen gefüllt? Aber das zählt ja alles nicht!“ Norbert Schwarz
war richtig verärgert. Er hatte seiner Meinung nach wirklich alles gegeben, was
in dieser Situation möglich war. Der alte Knacker von Seidl saß wahrscheinlich quietschvergnügt an einem Strand in der Karibik, während er
sich hier um seine Familie und sogar um seine Existenz Sorgen machen musste.
„Die meisten dieser Großbauern, so sehr sie immer jammern, haben doch alle
keine richtigen Sorgen. Zum einen haben sie genügend Grundstücke, die jederzeit
verkauft werden könnten, um bis zum Sankt Nimmerleinstag ohne Geldsorgen leben
zu können und zum anderen sitzt ihnen kein Chef mit irgendwelchen unsinnigen
Anordnungen im Nacken.“, dachte er, während er die Nummer
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