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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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Klosters war er für die Einhaltung des
streng eingeteilten Tagesablaufes zuständig. Die Aufgaben der Brüder waren sehr
vielfältig und reichten von speziellen kirchlichen Aufgaben über Buchhaltung, Küchen-
und Haushaltsdienste bis zu alltäglichen handwerklichen Tätigkeiten. Der
Arbeitstag war so umfangreich, dass für die Kapuziner oft erst in den späten
Abendstunden wirklich Ruhe einkehrte. Da für Franz nur die nicht-kirchlichen
Arbeiten in Frage kamen und er sowohl wegen seiner Behinderung als auch wegen
seines Alters nicht mehr voll einsetzbar war, hatte er für seine Begriffe noch
immer viel zu viel Zeit für Grübeleien. Der Guardian hatte ihm in einigen
Gesprächen klarzumachen versucht, dass er genau diese Zeit für sich brauchen würde
und Franz wusste tief in seinem Inneren auch, dass der Bruder Recht hatte. Die
Angst, die ihn jedes Mal überfiel, wenn er sich seiner Situation bewusst wurde,
ließ ihn sehr vieles rasch von sich schieben, in der Hoffnung, es irgendwann leichter
ertragen zu können.
    Ronny fehlte ihm. Das weiche, zottelige Fell,
sein niemals makelloser Geruch, das freudige Winseln. Erst jetzt wurde ihm
bewusst, wie viel ihm der treue Schäferhund bedeutete. Der Hund verlangte nie
nach Erklärungen, akzeptierte und liebte ihn wahrscheinlich sogar, genau so wie er war und nicht so, wie er vorgab zu sein. Er
vermisste ihn fast noch mehr als seine menschliche Familie und er schämte sich
gleichzeitig dafür. Die Tage im Kloster hatten ihn verändert. Rührseligkeiten
waren früher nie sein Ding gewesen. Gefühle, die er zuvor locker weggeschoben
hätte, lagen nun zentnerschwer auf seiner Brust und nahmen ihm schier die Luft
zum Atmen. Bruder Markus hatte ihm bei ihrem letzten ausführlichen Gespräch einzureden
versucht, dass das ein gutes Zeichen sei. Er selbst konnte diesem jämmerlichen
Zustand nur schwerlich etwas abgewinnen. „Was soll denn, bitte sehr, gut an
einem Jammerlappen sein?“, hatte er ihn gefragt. Doch dieser sprach von Gottes
Nähe und davon, dass die Seele ein Ventil bräuchte, das er nun endlich ein
Stück weit geöffnet hätte. „Eigenartige Sichtweise!“, hatte er gedacht und das
unangenehme Thema so schnell wie möglich wieder beendet. Doch insgesamt gesehen
war der Vorsteher des Klosters für Franz ein angenehmer Gesprächspartner. Franz
hatte seit dem Tod seines Freundes Wolfgang Sandtner vor mehr als 20 Jahren keine richtige Männerfreundschaft gehabt, aber wenn er
sich jetzt eine gewünscht hätte, wäre der Guardian die Idealbesetzung dafür
gewesen. Niemals versuchte er, etwas aus Franz herauszulocken, was dieser nicht
von sich aus preisgeben wollte. Auf diese Weise hatte er in den letzten paar
Tagen mehr über ihn erfahren, als die meisten Menschen zuvor. Aus dem Gesicht
des Geistlichen war nie ein Vorwurf herauszulesen. Gleichmütig und
verständnisvoll hörte er sich die beschämenden Ereignisse aus dem Leben seines
Gegenübers an, ohne ihn abfällig oder gar mitleidig zu mustern. Keine Vorwürfe
und schon gar keine schlauen Ratschläge. Nur dann, wenn Franz ihn dezidiert darum
bat, gab er seine persönliche Meinung zu einem Thema preis. Einen Ausweg aus Franz’
misslicher Lage hatte er allerdings auch nicht parat. Er meinte, Franz müsse
mit sich selbst ins Reine kommen, erst dann könnte er die richtige Entscheidung
treffen. Sein Vorschlag, einige Tage ganz allein in einer kleinen Hütte im
hintersten Winkel des riesigen Klostergartens zu verbringen, war für Franz in
diesem Moment noch nicht vorstellbar. Dieses Häuschen, das nicht mehr als 3 x 3
Meter maß, war eigens zum Zweck der inneren Einkehr errichtet worden und wurde
anscheinend gerne benutzt. Doch so gerne Franz sich zuhause zurückgezogen
hatte, um in Ruhe gelassen zu werden, so froh war er nun für jeden Menschen,
der um ihn war und ihn von seinen bedrückenden Gedanken abbrachte. Nicht nur
das, was geschehen war, belastete ihn, sondern vor allem die nagende
Ungewissheit: War sein lange gehütetes Geheimnis zu Hause inzwischen ans Licht
gekommen? Wie würde seine Familie, vor allem seine Frau reagieren? Wo sollte
dieses Versteckspiel hinführen? Wenn er sich eines Tages doch dazu entschließen
sollte, nach Hause zurückzukehren, dachte er, würden sich die Leute das Maul
über ihn zerreißen. „Aber das werden sie wahrscheinlich ohnehin schon tun“,
sagte er halblaut vor sich hin. Er konnte den Hohn der Menschen schon
körperlich fühlen.

Inspektor Norbert Schwarz saß an

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