Ehre sei dem Vater (German Edition)
tadelnswerten
Zustand betätigte sie schließlich doch die Klingel.
Schon nach wenigen Augenblicken wurde die Tür
geöffnet.
„Das ging aber schnell, hast du noch gar
nicht geschlafen?“
„Ach du bist das!“ Maries Stimme klang
erleichtert. Sie war leichenblass, auf ihrer Stirn glänzte Schweiß. Verena war
mit einem Schlag nüchtern.
„Geht’s dir etwa nicht gut, Kleines?“
„Nenn mich nicht so, du weißt, dass ich das
nicht mag!“, gab Marie schroff zurück. „Entschuldige, ist mir einfach so
rausgerutscht, aber du siehst wirklich nicht besonders gut aus. Willst du mir
nicht sagen, was los ist?“
Maries Mundwinkeln zuckten. Sie wandte sich
ab. Unbeholfen hob sie den rechten Arm vor ihr Gesicht, um die aufsteigenden
Tränen zu verbergen. „Ich bin einfach nur müde“, sagte sie ruppig und setzte
sich in Richtung Stiegenhaus in Bewegung. Normalerweise
hätte Verena, beschämt von der offensichtlichen Zurückweisung durch ihre
Tochter, sofort aufgegeben. Sie hätte Marie in ihr Zimmer gehen lassen, hätte
sich nicht von der Stelle gerührt und sich im Stillen wahrscheinlich die Augen
ausgeheult vor Selbstmitleid. Doch diesmal reagierte sie anders. Sie wunderte
sich selbst, wie schnell sie ihre Tochter, trotz des nicht unbeträchtlichen
Alkoholpegels, eingeholt hatte. „Warte doch!“, sagte sie sanft. „Ich verspreche
dir, dass ich nicht gleich wieder auszucken werde, ganz egal was los ist.“ Marie
blieb stehen. „Ich hab Mist gebaut!“, murmelte sie. Verena legte wortlos die
Arme um sie. „Willst du darüber reden?“
Marie wehrte sich nicht. Verena schwankte
zwischen einer tiefen innerlichen Freude über die plötzliche Nähe zu ihrem Kind
und der Sorge darüber, was wohl passiert war. Gemeinsam steuerten sie das
Wohnzimmer an und ließen sich auf dem roten Sofa nieder.
Als Marie in wenigen Sätzen erzählt hatte,
was passiert war, war Verena zunächst sprachlos. „Was hast du dir bloß dabei
gedacht?“, hätte sie im ersten Augenblick am Liebsten gesagt, aber sie hütete sich vor derartigen Vorwürfen. Die wichtigste Frage war
im Augenblick: Wie kann der Schaden so gering wie möglich gehalten werden?
Stumm und ohne jede persönliche Anschuldigung drückte sie ihre Tochter an sich.
„Was sagen denn deine Freunde zu dieser prekären Lage?“, fragte sie nach einer
Weile. „Ich habe noch nicht mit ihnen gesprochen, aber die Hauptschuldige bin
ohnehin ich. Die anderen haben mehr oder weniger nur zugesehen.“
„Lass uns das Ganze noch einmal ganz nüchtern
durchdenken. Was werden die Leute, die euch erwischt haben, wohl als nächstes
tun?“
„Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit sind die
längst zu den Bullen gerannt und haben mich angezeigt.“ Marie ließ ihren Tränen
nun freien Lauf. „Ich bin so eine Idiotin!“, schimpfte sie.
„Deine Selbstanklagen bringen uns jetzt auch
nicht weiter, ……oder vielleicht doch?“
Marie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht
und sah ihre Mutter mit großen Augen an. „Was soll denn das jetzt wieder
werden?“ Verena blühte in ihrer Rolle als freundschaftliche Beraterin geradezu
auf.
„Da wir davon ausgehen können, dass die Leute
dich anzeigen werden bzw. bereits angezeigt haben, warum kommen wir den
Gendarmen nicht ganz einfach zuvor?“
„Du meinst doch nicht etwa, ich sollte
Selbstanzeige machen?“, fragte Marie ungläubig.
„Genau das! Wir beide machen uns kurz ein
wenig frisch und dann gehen wir gleich los.“
„Jetzt, mitten in der Nacht?“ entfuhr es Marie.
Sie schien nicht besonders überzeugt zu sein von der glorreichen Idee ihrer
Mutter. Ängstlich und sichtlich ein wenig verärgert rückte sie ein Stück von
ihr weg. Wie meistens, wenn sie nervös war, spielte sie an ihren langen Haaren
herum. Sie drehte sie zwischen ihren Fingern und steckte die Spitzen in einen
Mundwinkel.
„Überleg doch mal! Wenn die Gendarmerie erst vor
unserer Tür steht, wird die Strafe viel höher sein.“
„Und meine Freunde? Glaubst du die würden
sich freuen, wenn ich sie verpetze?“
„Entweder du sagst, dass du das ganz allein
gewesen bist, oder du sagst deinen Freunden, sie sollen sich ebenfalls
freiwillig stellen.“
Verena war bereits wieder aufgestanden.
„Komm, lass uns gehen. Bringen wir es hinter uns, die werden uns schon nicht
fressen. Ich werde gleich anbieten, dass ich den finanziellen Schaden
übernehmen werde.“
„Wie kommst du denn dazu. Die Suppe habe ich
mir eingebrockt, nun muss ich sie auch wieder
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