Ehre sei dem Vater (German Edition)
Nachkriegszeit, in der sie
Hunger und Elend plagte und die unerfüllte kindliche Hoffnung, dass sein Vater
doch noch zu ihnen zurückkehren würde. Die Albträume, die damals begonnen
hatten, machten ihm noch heute immer wieder zu schaffen.
Erst am Totenbett hatte seine Mutter ihm gestanden,
dass der Vater regelmäßig Briefe an Franz geschrieben hätte, die sie jedes Mal ungeöffnet weggeworfen hätte, bis er das Schreiben
schließlich einstellte. Das war einer der Gründe, warum Franz vor sechseinhalb
Jahren am offenen Grab seines Vaters gestanden hatte. An diesem Tag hatte er es
sogar geschafft, Isidor Millner -Rubens, dem
Lebensgefährten seines Vaters, einem zittrigen alten Greis, die Hand zur
Beileidsbekundung zu reichen. In Robert, dessen Sohn, hatte er, zumindest für
den ersten Moment, einen Verbündeten gesehen, einen, der dasselbe Schicksal wie
er selbst durchgemacht hatte. Allerdings hatte er bald bemerkt, dass Robert keinen
Groll gegen seinen Vater hegte. Er war noch ein Baby gewesen, als Isidor Millner -Rubens seine Familie verlassen hatte, um mit Egon
Seidl ein neues Leben zu beginnen. Roberts Mutter hatte bald darauf wieder
geheiratet und war mit der neuen Situation ganz gut zurechtgekommen. Robert
hatte sogar erzählt, dass sie nur einige Häuser entfernt gewohnt hatten und er beinahe
täglich im Männerhaushalt zu Besuch war. Damals gänzlich unvorstellbar für
Franz. Er schüttelte den Kopf, als könnte er die unangenehmen Gedanken abschütteln.
Verstehen würde er die Lebenseinstellung seines Vaters wohl nicht mehr, aber in
den letzten Tagen hatte er gelernt zu vergeben.......
Franz erhob sich aus seinem Sessel und machte
einige Schritte, um den Kopf frei zu bekommen für das, was ihm nun bevorstand.
Mit seinen Erinnerungen würde er sich dabei ganz bestimmt noch so manches Mal
auseinandersetzen müssen, denn der schwerste Gang war noch nicht vollbracht -
... seine Familie. Würde Anna ihm verzeihen können? Wie würde er vor seinen
Kindern dastehen, vor allem vor Julian?
Irgendjemand schien es verdammt eilig zu
haben, eingelassen zu werden. „He, runter von der Klingel, ich komm ja schon!“,
brummte er, als er sich mit schlurfenden Schritten in Richtung Haustür bewegte.
„Was zum Teufel ….!“ David blieben die Worte sprichwörtlich im Hals stecken,
als er in das leichenblasse Gesicht seiner Mutter sah. Nicht, dass Hertha
jemals eine besonders gesunde Gesichtsfarbe gehabt hätte, aber so hatte er sie
noch nie gesehen. Ihre dunkelblonden, angegrauten Haare waren mit einem
einfachen Gummiband schlampig zusammengebunden und die einzelnen Strähnen
hingen wirr in ihr Gesicht. Über ihrer schwarzen, ausgewaschenen Trainingshose
und einem weißen, verschwitzten T-Shirt trug sie eine Kleiderschürze mit buntem
Blumenmuster. Ihre Füße steckten in halbhohen, schmutzigen Gummistiefeln.
Wahrscheinlich hatte sie irgendeine Gartenarbeit verrichtet, bevor sie sich zu
ihren Kindern aufgemacht hatte. Die hagere Person bäumte sich vor David auf,
als wollte sie sich gleich auf ihn stürzen, aber offenbar war er nicht das Ziel
ihrer Aggressionen.
„Wo ist sie?“, krächzte sie. „Wo ist das
hinterlistige Biest?“ Der Schock über die jämmerliche Erscheinung seiner Mutter
wich seinem Zorn. „Was um alles in der Welt ist denn in dich gefahren? Tickst
du nicht mehr richtig? Wen suchst du hier?“
„Du weißt genau, wen ich hier suche, wo hat
sich deine feine Schwester versteckt.
Womöglich steckst du auch noch mit ihr unter einer Decke! Würde mich nicht
wundern.“ Mit einer flinken Bewegung huschte sie an ihrem Sohn vorbei ins Haus.
„Zieh wenigstens deine schmutzigen Stiefel
aus, wenn du schon ungebeten ins Haus kommst!“, brüllte ihr David hinterher.
Doch die kleine Frau scherte sich nicht darum, dass sie eine breite Schmutzspur
über den Teppich zog. Mit starrem Blick nach vorn rannte sie in Richtung
Bibliothek, wo sie schließlich auf Eva traf. Sie hielt plötzlich inne und
verpasste ihrer Tochter, ohne ein Wort zu sagen, eine heftige Ohrfeige. David
wollte seiner Schwester gerade zu Hilfe kommen, blieb aber abrupt stehen, als
er ihre sonderbare Reaktion bemerkte. Sie griff sich zwar wie durch einen
Reflex an die sicherlich schmerzende Wange, blieb aber wortlos stehen. Obwohl
sie neben ihrer zierlichen 58-jährigen Mutter beinahe wie eine kräftige
Ringkämpferin wirkte, wehrte sie sich nicht.
„Du warst das, stimmt’s? Du hast ihn
erpresst, oder? Nur ein einziges Mal habe ich dir
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