Ehre sei dem Vater (German Edition)
drinnen und
spricht mit der Polizei.“ Er deutete mit dem Zeigefinger in Richtung
Klosterpforte. „Man hat mir nahe gelegt, den Raum zu verlassen, aber ich nehme
an, dass die Besprechung bald zu Ende sein wird. Wollen Sie einstweilen mit mir
in den Klostergarten kommen.“ Er wies sie mit einladender Geste durch das
geöffnete Gartentor.
Julian und Barbara hatten einen flüchtigen
Blick gewechselt, als der Kapuziner angab, schon von ihnen gehört zu haben. Von
Barbara, das konnte Julian ja noch verstehen, aber von sich? Wahrscheinlich
wollte der Mann nur höflich sein. Julian war es im Grunde ganz recht, nicht so
schnell auf seinen Vater zu treffen. Vielleicht würde ihn Franz sogar
wegschicken oder ignorieren.
Inspektor Schwarz und Inspektor Lutz lehnten lässig
an dem breiten Holztisch des Esszimmers. Lutz war ein schmächtiger kleiner Mann
von etwa 30 Jahren. Er wirkte neben dem groß= gewachsenen Kollegen beinahe wie
dessen Sohn, obwohl - abgesehen von den kurzen, dunklen Haaren - keine
Ähnlichkeit bestand. Ihre Körpersprache war aber dieselbe. Sie ließ erkennen,
dass die Männer nicht erleichtert waren, Franz Seidl endlich gefunden zu haben.
Die Mühe, die lästige Arbeit, die sie seinetwegen hatten, stand eindeutig im
Vordergrund. Franz war bereits auf seinem Sessel gesessen, als die Gendarmen ankamen
und er ärgerte sich insgeheim darüber, hier wie ein Verbrecher verhört zu
werden, noch dazu, da sich die Herren nicht dazu herabließen, sich ebenfalls
hinzusetzen, um auf der gleichen Ebene mit ihm sprechen zu können.
Schwarz : „Ihnen ist doch wohl klar,
dass Sie durch ihr plötzliches Verschwinden die Behörden in die Irre geführt
haben?“
Franz
Seidl : „Hab ich das?
Ich kann mich nicht erinnern, Sie um Hilfe gebeten zu haben.“
Schwarz : „Ihre Familie hat Anzeige
erstattet.“
Franz
Seidl : „Warum
sprechen Sie hier von meiner Schuld, während der wahre Verbrecher noch frei
herumläuft?“
Schwarz : „Verbrecher? Wovon sprechen Sie?“
Franz
Seidl : „Wenn Sie
sich die Mühe gemacht hätten, mich sofort nach dem Grund meines Abtauchens zu
fragen, anstatt mir mein Verschulden an den Kopf zu werfen, hätte ich Sie
sofort informiert.“
Lutz : „So sprechen Sie nicht in Rätseln! Was
haben Sie uns zu sagen?“
Schwarz : „Hat es etwas mit Karl Weber zu
tun?“
Franz
Seidl : „Karl Weber?
Sie meinen doch nicht etwa unseren ‚geliebten’
Nachbarn? Das könnte gut sein, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, woher er
die Hintergrundinformationen gehabt haben sollte.“
Schwarz: „Was ist nun?“
Franz
Seidl : „Ich wurde
erpresst.“
Schwarz : „Erpresst? Inwiefern?“
Franz
Seidl : „Man hat mir
einen Brief geschickt.“
Franz kramte ungeschickt in seiner Brusttasche und holte schließlich das aus verschiedengroßen
Zeitungslettern sorgsam zusammengeflickte Schriftstück hervor.
„Er wurde in unseren Postkasten geworfen,
ohne Poststempel, ohne Hinweis darauf, wer der Absender sein könnte.“ Er legte
den Zettel vor sich auf den Tisch. Endlich nahmen die Gendarmen auf den Stühlen
vor ihm Platz.
Schwarz nahm das Schreiben sofort an sich und
musterte es eindringlich. Er kippte es zur Seite, als wollte er zwischen den
Buchstaben und dem Blatt, auf das sie geklebt worden waren, nach Spuren suchen.
Als er den Zettel endlich wieder auf den Tisch zurücklegte, begann das Spiel
von vorne. Der kleinere Gendarm langte nach dem Stück Papier. Auch er schien
nach Hinweisen zu suchen. Franz erinnerte sich daran, wie oft er selbst den
Brief auf ähnliche Weise in Händen gehalten hatte. Ohne Ergebnis. Auch wenn die
Gendarmen sicher andere Methoden zur Untersuchung kannten, war er sicher, dass
hier mit bloßen Augen keine Spuren des Absenders zu finden waren. Wie vermutet,
steckten die Beamten den Zettel schließlich in einen Plastikbeutel, um ihn zur
genaueren Untersuchung ins Revier mitzunehmen.
Das wirklich Unangenehme stand Franz aber
noch bevor. Er kam nun nicht mehr umhin, den Gendarmen alle relevanten Details
aus seiner Vergangenheit zu schildern. Es dauerte eine ganze Weile, bis er,
mühsam nach den richtigen Worten ringend, die gesamte Geschichte erzählt hatte,
aber langsam taute die Atmosphäre zwischen den Gendarmen und Franz auf. Er
merkte, dass sie Verständnis für seine Lage aufbrachten und spürte unerwartete
Erleichterung. Flüchtig schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, ob sich dieses
Gefühl später, bei der Beichte vor seiner Familie, wiederholen könnte.
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