Ehre sei dem Vater (German Edition)
Klostervorsteher fast
dreißig Jahre jünger war als er selbst. Er hatte ihn stets für seine klugen
Kommentare und für sein Einfühlungsvermögen bewundert.
Noch einmal ließ Franz das Gespräch mit den
Gendarmen vor seinem geistigen Auge ablaufen. Der Gedanke, Wolfgang Sandtner könnte vor dem Tod womöglich sein Geheimnis
verraten haben, bedrückte ihn. Wäre es wirklich vorstellbar, dass Hertha Sandtner seit Ewigkeiten über alles Bescheid wusste? Ganz
abwegig war diese Vermutung natürlich nicht. Auch wenn er selbst mit seiner
Frau niemals über solche Dinge gesprochen hätte …….
Hertha war, Gott sei Dank, keine besonders
gesellige Frau, keine, die man so ohne weiteres als Tratschtante bezeichnen konnte, das beruhigte ihn ein wenig. Seit dem Tod Ihres Mannes lebte
sie fast einsiedlerisch in ihrer Wohnung in Irdning. Sogar zu ihren Kindern
hatte sie dem Vernehmen nach kaum Kontakt. Ihr Sohn David war vor einiger Zeit zu
seiner älteren Schwester gezogen, und er hatte nie beobachtet, dass Hertha
irgendwelche Freunde hatte. Früher hatten er und seine Frau so manches Mal etwas
mit den Sandtners unternommen, aber seit Wolfgang
verstorben war, war der Kontakt mit Hertha praktisch zum Erliegen gekommen, vor
allem deshalb, weil Anna ihr nicht verzeihen konnte, mit welcher Gefühlskälte
sie ihre Kinder erzogen hatte. Anna hatte sie mehrfach darauf hingewiesen, dass
Eva und David ihre Liebe nach dem Verlust des Vaters noch viel mehr benötigten,
aber anscheinend konnte oder wollte sie nichts an ihrem Verhalten ändern. Unerwartet
zog ihm ein kalter Schauer über den Rücken, als er realisierte, dass er selbst nicht
viel besser gewesen war. Hatte er das Recht, diese Frau zu verurteilen? Wohl
nicht! Er hatte das bisher immer damit entschuldigt, dass er schließlich ein
Mann war und seine Frau die Kinder ohnedies viel zu sehr verhätschelte.
Die Erinnerung streifte noch viel weiter in
die Vergangenheit. Franz sah sich als kleinen Jungen: Auf einem alten
Reisekoffer sitzend wartete er - trotz Schelte der Mutter - ungeduldig auf die
Rückkehr des Vaters, stets bereit mit ihm in bessere Zeiten aufzubrechen. Er
erinnerte sich aber auch daran, in den Armen seines Vaters gelegen zu sein. Der
große Mann hatte mit einer Hand seinen Kopf gestreichelt und ihn mit der
anderen ganz fest an seine Brust gedrückt. „Ich hab dich lieb mein Sohn“, hatte
er geflüstert.
Diese Worte und all die anderen vertrauten
Momente aus seiner frühen Kindheit hatte er in den darauf folgenden Jahren aus
seinen Gedanken verbannt. Irgendwann war er sich nicht einmal mehr sicher, ob
diese Erinnerungen nicht doch nur Hirngespinste waren. Es war unmännlich, seine
Gefühle zu zeigen. Das machte die Menschen schwach. Schließlich hatte sich
gezeigt, was aus seinem Vater geworden war: Ein Mann, der seine Familie verließ
für eine Schwulenbeziehung! Niemals wollte Franz zulassen, dass durch Schwäche
und Gefühlsduselei noch einmal so etwas passieren könnte, bis er vor sieben
Jahren erfahren musste, dass Julian dieselbe Veranlagung hatte. Es war wie ein Deja-vu .
Egon Seidl hatte im Krieg anscheinend den
Partner fürs Leben gefunden und sich einfach aus dem Staub gemacht. Das einzig Positive
daran war, dass damals viele Männer nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrten und die
Sache gut vertuscht werden konnte. Wenn man den Ängsten und Nöten einer
Kindheit in Kriegszeiten schon schutzlos gegenüber stand, dann war es bei
weitem rühmlicher, einen toten Vater zu haben als einen homosexuellen. Seine
Mutter wollte ihn anfangs auch mit der Geschichte abfertigen, dass der Vater
verstorben wäre und er hatte es für kurze Zeit auch geglaubt, bis er
schließlich einen Brief aus dem Mistkübel fischte, den die Mutter unachtsam
weggeworfen hatte. Den genauen Inhalt hatte er damals nicht verstanden, aber das
wollte er auch nicht. Es reichte, dass sich der eigene Vater, den er über alles
liebte, gegen ihn entschieden hatte. Unter Tränen hatte er das handgeschriebene
Papier mit einem Feuerzeug angezündet und in den gusseisernen Herd geworfen.
Seine Mutter hatte danach nur ein einziges Mal mit ihm darüber gesprochen. Die
Schande, meinte sie, würde sie nicht ertragen können. Man würde sie aus der
Gemeinschaft verstoßen und ihn, Franz, gleich mit dazu. So schlossen die beiden
den stillen Pakt, dass der Vater offiziell nicht mehr leben durfte………
Die ersten Jahre waren extrem hart für den
Jungen gewesen. Die letzten Kriegsjahre, die schwere
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