Ehrenhüter
Freund zu haben.»
«Ist es denn ein Verbrechen, einen Freund zu haben?»
«Ja.» Der Mann machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: «Zumindest bei denen.»
Steenhoff beschloss, vorerst an einer anderen Stelle weiterzumachen. «Erkennen Sie den Schmuck wieder?»
Der Atem des Anrufers ging wieder schneller, und Steenhoff hatte den Eindruck, als würde der Mann dem Druck nicht mehr lange standhalten.
«Der Ohrring mit dem violetten Herz sieht genauso aus wie der, den ich ihr zum sechzehnten Geburtstag geschenkt habe.»
«Einen oder zwei Ohrringe?»
«Zwei. Sie hat ja auch zwei Ohrlöcher.»
Petersen nickte bestätigend. Auch Körpergröße, Haarfarbe und Haarlänge, die der Anrufer beschrieb, passten auf die Tote. Zudem bestätigte der Mann, dass seine Freundin manchmal einen goldenen Armreif trug. «Was ist mit der Bekleidung der Toten? Erkennen Sie die wieder?»
«Nein.»
Steenhoff dachte über die Aussagen des Anrufers nach. Es sprach vieles dafür, dass es sich bei der Toten um die 1 6-jährige Nilgün handelte. Aber warum hatte ihre Familie sich nicht bei der Polizei gemeldet? Oder ihre Lehrer und Freundinnen? Ein junges Mädchen verschwand nicht einfach von der Bildfläche, ohne dass es jemandem auffiel.
Plötzlich schob ihm Petersen einen Zettel mit der Notiz hin: «Frag nach den Fingernägeln.»
Steenhoff räusperte sich. «Betreibt Ihre Freundin Maniküre?»
«Wie jetzt?»
«Was ich wissen will, ist, ob Ihre Freundin gepflegte Fingernägel hat?»
«Sie hat lange Fingernägel und immer viel dran rumgefeilt. Wenn wir uns getroffen haben, waren ihre Fingernägel manchmal rot angemalt. Kurz bevor sie wieder nach Hause fuhr, hat sie die Farbe mit Nagellackentferner wieder abgenommen. Ihre Brüder hätten sie wohl sonst beschimpft.»
Steenhoff sah aus dem Augenwinkel, wie Petersen ihre Hand zur Faust ballte.
«Warum haben Sie eigentlich Angst, uns Ihren Namen zu verraten?», fragte Steenhoff freundlich. «Das Verhältnis, das Sie zu Ihrer Freundin haben, ist doch völlig normal. Da gibt es nichts, wofür Sie sich schämen müssten. Außerdemverlieben sich viele junge Menschen in jemanden, den die Eltern anfangs nicht so mögen.»
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Wenn Nilgün nichts passiert ist, und ihre Eltern erfahren über die Polizei, dass wir zusammen sind, wäre das eine Katastrophe.»
«Hören Sie, wir werden nichts tun, was Ihre Freundin gefährdet. Aber wir sollten uns treffen.»
«Nein!», wehrte der Mann heftig ab. «Ich werde noch ein paar Tage warten. Das Risiko ist zu groß. Aber wenn sie bis Ende nächster Woche nicht aufgetaucht ist, dann melde ich mich wieder.»
Steenhoff wusste, dass er jetzt handeln musste. Seine Stimme hatte plötzlich jede Freundlichkeit verloren: «Wenn Sie jetzt auflegen, stehen in fünf Minuten zwei Streifenwagen vor Ihrer Tür. Wir haben Ihre Telefonverbindung zurückverfolgt. Sie haben die Wahl, entweder Sie stellen sich freiwillig als wichtiger Zeuge zur Verfügung, oder wir holen Sie!»
Der Mann schwieg. Aber er legte nicht auf. Steenhoff meinte zu spüren, wie es in dem Anrufer arbeitete.
Schließlich sagte der Mann mit einer Stimme, die Steenhoff an ein beleidigtes Kind erinnerte: «Das war nicht fair. Sie haben mich ausgetrickst.»
«Wir sind dringend auf Ihre Mitarbeit angewiesen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, aber bislang spricht einiges dafür, dass es sich bei der Toten um Ihre Freundin handelt. Wenn Sie jetzt auflegen, bekommt auch der Täter einen Vorsprung. Also …?»
«Also was?»
«Wie heißt Ihre Freundin mit vollem Namen?»
«Nilgün Cetin. Sie lebt mit ihrer Familie im Bremer Westen, in Gröpelingen oder Walle.»
«Und wie lautet Ihr Name?»
«Roman. Roman Rodewaldt.»
«Sie wohnen noch bei Ihren Eltern?» Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
«Ja. Jortzigerstraße 44. In Schwachhausen.»
«Gut. Warten Sie bitte dort auf uns. Meine Kollegin und ich sind in zehn Minuten bei Ihnen.»
Steenhoff legte auf.
«Wie kommst du darauf, dass wir so schnell seine Nummer herausgefunden hätten?», fragte Navideh Petersen verwundert. «Die Nummer war unterdrückt, und zudem hat er vermutlich aus einer Telefonzelle angerufen. Im Hintergrund waren Verkehrsgeräusche zu hören.»
«Wer sagt denn, dass Polizeibeamte immer die Wahrheit sagen müssen?», erwiderte Steenhoff trocken. «Ich musste ein bisschen nachhelfen, sonst wäre er uns abgesprungen, vor lauter Angst, etwas Falsches
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