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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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ihm das Mädchen. Als Kind einer einfachen Familie aus dem Osten der Türkei hatte sie kaum Aussichten, in Deutschland einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Aber sie hatte ihre Chancen genutzt. Jede einzelne. Zielstrebig war sie, aber nicht rücksichtslos. Das zeigte schon die Tatsache, dass sie jüngeren Schülern, deren Eltern sich keine Nachhilfe leisten konnten, kostenlos Mathe und Englisch beigebracht hatte.
    Er musste unwillkürlich schmunzeln. Die Vorstellung, wie Nilgün den Jungen aus den höheren Klassen das Geld aus der Tasche gezogen hatte, gefiel ihm. Sie war ein hübsches Mädchen. Eine wie sie hätte ihm in seiner Jugend auch gefallen können. Und vermutlich wäre ihm das Kräftemessen auf dem Schachbrett damals auch den einen oder anderen Zehner wert gewesen.
    Die Jungen hatten sich offenbar darum gerissen, in den Freistunden in dem kleinen Café bei der Schule gegen Nilgün anzutreten. Das Mädchen musste ihre Gegner oft schachmatt gesetzt haben. Petersen hatte in einer Schachtel aus Nilgüns Spind über 1500   Euro gefunden. Saliha bestätigte ihr, dass Nilgün das Geld gewonnen hatte. Petersen hatte gezögert, doch schließlich hatte sie die Scheine wieder zurückgelegt.
    «Wenn Herr Cetin seine Tochter in seinem Gedächtnis auslöschen will, dann braucht er auch ihr Geld nicht», erklärte sie. Steenhoff widersprach nicht. Es ging die Polizei nichts an, wie die Hinterlassenschaft des Mädchens aufgeteilt wurde. Sollte Saliha das mit ihrer Mutter klären.
    Steenhoff rollte sich auf den Bauch. Seine Lieblingsposition. Schon als kleiner Junge hatte er sich mit dem Kopf in die Armbeuge gekuschelt, um sich selbst ein wenig Geborgenheit zu verschaffen. Immer dann, wenn die Wut auf seine Mutter, die ihren ältesten Sohn für ihre neue Familie verlassen hatte, wieder mal in abgrundtiefe Trauer umschlug, hatte er sich ins Bett verzogen und sich selbst in den Arm genommen. Bis heute gab ihm diese Position eine Art inneren Halt und half ihm in den Schlaf. Doch an diesem Morgen drängten sich Osman und Murat in seine Gedanken. Unwillig versuchte er, die beiden Brüder aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Ein guter Kriminalbeamter muss abschalten können, sonst macht ihn die Arbeit hier fertig.
    Wer hatte das noch gesagt? Steenhoff ging in Gedanken die pensionierten Kollegen durch, blieb aber nirgendwo hängen.
    Auf einmal wusste er, wer es gesagt hatte: der ehemalige Polizeipräsident. Er war nur noch kurz im Amt gewesen, nachdem Steenhoff bei der Mordkommission angefangen hatte. Bei einem der ersten Fälle, in denen Steenhoff als junger Beamter mitgearbeitet hatte, saß er in mehreren Besprechungen dabei. Steenhoff konnte sich noch genau an den Fall erinnern. Ein Kind war getötet worden. Die Öffentlichkeit stand Kopf. Der Druck, den Mörder zu finden, lastete schwer auf den Mitarbeitern der Sonderkommission. Aber noch mehr beschäftigte die Polizei damals die Ahnung, dass der Unbekannte erneut zuschlagen würde – falls sieversagen und ihn nicht rechtzeitig finden würden. Er war damals dankbar gewesen, nicht allzu nahe an der trauernden Familie dran gewesen zu sein. Das erledigten ältere, erfahrenere Kollegen. Nach vier Tagen intensiver Ermittlungen stellte Steenhoff eine gewisse Mutlosigkeit in der Sonderkommission fest.
    Der Präsident war an jenem Abend zu ihnen gestoßen. Er musste etwas Ähnliches bemerkt haben, denn er hatte eine Geschichte von den «wahren Fällen» zu erzählen begonnen. Bei den meisten Kapitaldelikten, so seine These, stand der Täter mehr oder weniger daneben. «Man muss es den Burschen nur noch beweisen, dass sie es waren, und oft genug gestehen sie schon, sobald man sie nur anschubst.» In spätestens zwei, drei Tagen sei der Fall gelöst. Bei einigen wenigen Delikten aber werde die Ermittlungsgruppe Tage, Wochen und Monate gefordert. Manchmal sogar Jahre. Dann zeige sich, wer ein guter und hartnäckiger Ermittler sei, hatte der Präsident sie damals indirekt darauf eingeschworen, nicht nachzulassen. Und dann hatte er sie aufgefordert, nach Hause zu gehen und zu schlafen, Kräfte zu sammeln und abzuschalten. Denn das müsse ein guter Kriminalbeamter können, sonst würde er sich schnell aufreiben.
    Steenhoff rollte sich wieder auf den Rücken.
    ‹Ich hab’s nie gelernt›, dachte er düster. Erst wenn der Täter ein Geständnis ablegte, tauchte er langsam wieder auf. In der Zwischenzeit gaukelte er seinen wenigen Freunden und vor allem seiner Familie nur vor,

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